Härtling, Peter
Platz. Da bin ich eigen.
Landauer verstand es, schlug ihm vor, sich einen Tisch anzuschaffen, in dem er, da er keine weiteren Schubladen habe, auch einen Teil seiner Kleider verwahren könne. Er dachte, als sie darüber sprachen, an alle die Tische, an denen er schon geschrieben hatte, an jenen, der ihm weggenommen worden war, oben im Gontardschen Haus.
Immer wieder verlangte es ihn, Susette zu schreiben. Er fing Briefe an, legte sie zur Seite. Welchem Boten sollte er sie anvertrauen?
Sie musizierten zusammen: Landauer, dessen Frau Luise, deren Schwester, die mit dem Bildhauer Scheffauer, dem großen Rivalen Danneckers, verheiratet war und die Schwägerin, die nach dem Tode Christophs den anderen Bruder Landauers, Ludwig, heiratete. Fast jeden Abend erschienen Gäste, auch tagsüber kam es mitunter zu turbulenten Familientreffen, in die Hölderlin sich hineinreißen ließ, wenn er nicht schreibend auf seiner Kammer blieb, was von jedermann respektiert wurde. Solche Heiterkeit war ansteckend. Er war Teil der großen, das Leben genießenden Familie. Als deralte Landauer starb, wurde er auch in die Trauer einbezogen. Zum Andenken an den Patriarchen und an dessen im selben Jahr gestorbenen Sohn schrieb er ein Epitaph, das Landauer auf den Grabstein gravieren ließ: »Einen vergänglichen Tag lebt ich und wuchs mit den Meinen, / Eins ums andre schon schläft mir und fliehet dahin. / Doch ihr Schlafenden wacht am Herzen mir, in verwandter / Seele ruhet von euch mir das entfliehende Bild.«
Was er in der Hast plante, kann er nun ruhig ausbreiten. Es entstehen viele Gedichte, die er, wie früher, den alten Freunden vorliest, Neuffer und Conz. Zwar sind beide, auch Landauer, über den Wechsel in Hölderlins Stimmungen, über seine anfällige Gesundheit besorgt, reden manchmal auf ihn ein, wollen ihn dazu bewegen, sich endgültig niederzulassen, was er ablehnt – er antwortet ihnen mit der großen Ruhe seiner Gedichte.
Seit Marengo herrscht Waffenstillstand. Er gibt sich, wie alle, dem trügerischen Gedanken des Friedens hin. Die Hoffnung auf Frieden zieht eine Spur durch viele seiner Gedichte und Briefe der nächsten zwei Jahre, bis zum Frieden von Lunéville. Er war ausgehungert nach Frieden.
Durch den geselligen Landauer fand er neue Bekannte, Freunde, von denen jeder mit Gestalten seiner Vergangenheit zu tun hatte. Professor Ströhlin, der am Gymnasium klassische Sprachen und Französisch lehrte, und von Conz »schnaufende Ehrwürden« genannt, beherbergte in seinem Hause regelmäßig Gastschüler, und unter ihnen waren die zwei »Riedesels« gewesen, Schellings Zöglinge, die Hölderlin in Frankfurt besucht hatten. Zu Scheffauer, dem Schwager Luise Landauers, fühlte er sich besonders hingezogen. Stundenlang saß er in dessen Werkstatt, ihn bei der Arbeit beobachtend.
So wie Sie, auf der Kommode, hat auch Goethe gesessen, erzählte Scheffauer, und ich erinnere mich, daß ich damals an einer liegenden Venus arbeitete und Goethe sie lobte. Scheffauer merkte, in seiner Erinnerung an den Berühmten schwelgend, gar nicht, daß Hölderlin, als der Name Goethe genannt wurde, aufstand und die Werkstatt verließ.
Mit Ludwig Ferdinand Huber dagegen, der Cottas »Allgemeine Zeitung« redigierte, unterhielt er sich häufig über Schiller, denn Huber hatte vor fünfzehn Jahren in Leipzig, zusammen mit Körner, zu Schillers »Leibwache« gehört. Vor fünfzehn Jahren, sagte Hölderlin, war ich als Seminarist in Maulbronn und dachte an Schiller wie an einen Helden aus einem Freiheitslied. Und Haug schließlich, der sanfteste unter Landauers Freunden, war der Gefährte Schillers auf der Karlsschule gewesen. Ihn wagte Hölderlin zu fragen, warum Schiller sich so unerklärlich von ihm abgewendet und zu seiner Dichtung kein Zutrauen mehr habe.
Er übt sich halt mit Goethe jetzt im Schattenwerfen –
Haug wußte keine bessere Antwort.
Landauers Freunde verehrten Hölderlin; bei den vielen Festen, die die Familie plante und feierte, war Hölderlin Mittelpunkt. An den Sonntagen zog man vor die Stadt, kehrte in ländlichen Gasthöfen ein, trank Wein, sang, wanderte, redete sich über politische Dinge die Köpfe heiß, wobei es sich herausstellte, daß Landauer seine demokratischen Ansichten nicht nur hinter vorgehaltener Hand aussprach. Conz und Hölderlin unterstützten ihn, die anderen hielten sich mehr oder weniger zurück. Essei, wetterte Conz, die schwäbische Art von Demokratie: Man tritt leise auf, um jedermann zu schonen,
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