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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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sich selbst am meisten. Es könnte ja einer wach werden, der anders denkt.
    Am 11. Dezember 18oo feierte Landauer seinen einunddreißigsten Geburtstag. Soviel Lichter auf dem Kuchen, soviel Gäste! Nach diesem Gesichtspunkt lud Landauer ein. Wenn ich hundert werde, brauche ich eine Halle.
    Der Geburtstag des Hausherrn wurde für Hölderlin zum Abschiedsfest. Mit der Ruhe hatte er sich betrogen, sie hatte ihm, für eine kurze Spanne, zur Arbeit genützt. Die Schmerzen ließen kaum mehr nach. Nachts wachte er an schrillen Stimmen auf – es waren seine, die sich spalteten, vermehrten. Das Wohlwollen und die Güte seiner Umgebung kamen ihm nun bieder und einengend vor.
    Solche Feste wie bei Landauers hatte es auch bei den Gontards gegeben. Dort hatte er sich, Susette zuliebe, am Rand gehalten oder war ferngeblieben. Ob sie an ihn denkt? Sie weiß nicht, wo er lebt, mit wem er sich abgibt. Vielleicht hat ein Geschäftsfreund von Gontard ihn als Hausgast Landauers erwähnt. Wahrscheinlich nicht.
    Hier, bei Landauer, wird ihm gehuldigt, und man erwartet, daß er dem Freund zum Geburtstag eine Rede halte. Conz, angetrunken, ein schwankender Koloß, bereitet mit Getöse Hölderlins Auftritt vor. Jetzt hört doch, jetzt seid doch still. Schick und Scheffauer, ihr könnt doch nachher singen. Herrgott, jetzt paßt doch auf, der Hölder will dem Christian ein Gedicht vortragen!
    Es ist in Reimen. Er hat seit langem nicht mehr gereimt und tut es erst wieder in Tübingen, dann sind die Gedichte Hülsen, die, einander ähnelnd, aus seinem Gedächtnis fallen. Bei den Geburtstagsstrophen für Landauer hat ihn diegesellige, den Tübinger Jugendjahren gleichende Stimmung animiert. »Sei froh! Du hast das gute Los erkoren, / Denn tief und treu ward eine Seele dir; / Der Freunde Freund zu sein, bist du geboren, / Dies zeugen dir am Feste wir. // … / Und sieh! aus Freude sagen wir von Sorgen; / Wie dunkler Wein, erfreut auch ernster Sang; / Das Fest verhallt, und jedes gehet morgen / Auf schmaler Erde seinen Gang.«

    Er hat Abschied genommen. Droben, im tiefverschneiten Oberschwaben, holen ihn winterliche Bilder der Vergangenheit ein. Er denkt an alle seine Abschiede, Aufbrüche. Seltsam, immer ist er im Frost, zu Beginn eines neuen Jahres aufgebrochen, nach Waltershausen, nach Frankfurt und nun in die Schweiz, nach Hauptwil. Doch dieses Mal ist er zufrieden mit dem Herbst. Die entstandenen Gedichte reden ihm nach, wissen den Winter voraus: »Weh mir, wo nehm ich, wenn / Es Winter ist, die Blumen, und wo / Den Sonnenschein, / Und Schatten der Erde? / Die Mauern stehn / Sprachlos und kalt, im Winde / Klirren die Fahnen.«
    In Stuttgart hatte er mit dem Sohn seines zukünftigen Patrons, Anton von Gonzenbach, verhandelt und, anders als bisher, rasch eine Zusage bekommen. Das Gehalt war mit 50o Gulden fürs Jahr höher als bei Gontards. Nach zehntägiger Wanderung erreichte er die Herrschaft Hauptwil in Thurgau. Er mußte sich nicht umständlich nach dem »Schlößli« und dem Kaufhaus der Gonzenbachs durchfragen. Die Gonzenbachs beherrschten den Ort. Das obere Schloß bewohnte die ältere Linie der Gonzenbachs, die Familie des Hans Jakob, der in der Eidgenossenschaft als Gerichtsherr, in der Republik als Statthalter der Regierungamtierte; im unteren Schloß lebte die Familie des Kaufherrn Anton Gonzenbach, des Dienstherrn Hölderlins. Von den neun Kindern waren die beiden Jüngsten, die fünfzehnjährige Barbara und die vierzehnjährige Augusta seine Schülerinnen.
    Er wurde mit freundlicher Zurückhaltung aufgenommen. Sein Zimmer lag, wie in Homburg, Waltershausen und Jena, zum Garten, »da wohne ich, …, wo unter meinem Fenster Weiden und Pappeln an einem klaren Wasser stehen, das mir gar wohlgefällt des Nachts mit seinem Rauschen, wenn alles still ist, und ich vor dem heiteren Sternenhimmel dichte und sinne.«
    Gonzenbach, anders als Gontard, hatte Kunstverstand, spielte vorzüglich die Violine, musizierte manchmal gemeinsam mit seinem Hauslehrer, doch die Geschäfte bestimmten, anders als in Frankfurt, selbst den häuslichen Tag. Da wurde nicht listig und elegant bei Soupers ganz zufällig über Transaktionen philosophiert, sondern Gonzenbach und seine ihm auch im Geschäftlichen gewachsene Frau Ursula handelten handfest, stritten über die Qualität von Produkten, überboten sich gegenseitig im Hersagen von Preislisten. Der ganze Ort war für sie tätig, niemand konnte ohne die Gonzenbachs auskommen, »Hauptwil erhält sich

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