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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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aufrecht durch den Handel und die Tätigkeit dieser Familie«. Diese Geschäftigkeit, die auch die Unterhaltungen an der Mittagstafel bestimmte, an denen sich die Kinder durchaus wissend beteiligten, Lehrstunden für zukünftige Kaufherrn, gefiel ihm, weil eben alles offen ausgesprochen und nicht, als brächte der Handel Schmutz ins Haus, vertuscht wurde.
    Seine Schülerinnen machten es im leicht. Sie fügten sich, lernten mühelos, duldeten eine Zeitlang seine Eigenheiten. Daß er nachts in seiner Kammer oft mit sich selber sprach, manchmal auch weinte, klagte, kam ihnen allerdings unheimlich vor. Das paßte nicht in ihre tüchtige Wirklichkeit.
    Er ging viel weniger spazieren als früher, so daß er für einen Stubenhocker gehalten wurde; die Mädchen wollten ihm gar nicht glauben, daß er schon so weit unterwegs gewesen sei, die Natur als »Lebenselixier« brauche.
    Er ließ die Mädchen Klopstocks »Ode auf den Zürichsee« abschreiben und auswendig lernen. Wenn es ganz still in seinem Zimmer war, er nur das Kratzen der Feder und den angestrengten Atem der Kinder hörte, fühlte er sich in den Weißen Hirsch versetzt und ertrug es kaum, so stillzuhalten. Dann begann er leise zu stöhnen, und die Mädchen schauten ihn erschrocken an.
    Fehlt ihnen etwas, Herr Magister?
    Sind Sie krank?
    Er schüttelte nur unwillig den Kopf. In einem Augenblick so gequälter Abwesenheit griff er nach Barbaras Hand und küßte sie. Das Mädchen sprang auf, die Schwester ebenso, sie rannten empört aus der Kammer. Von Gonzenbach zur Rede gestellt, wußte er sich nicht zu verteidigen, stammelte von einer törichten, ihm selbst unverständlichen Anwandlung, doch Gonzenbach drohte ihm, sollte es sich wiederholen, mit der Entlassung.
    Am 9. Februar 1801 wurde zwischen der Französischen Republik und dem Deutschen Reich der Frieden von Lunéville geschlossen. Wieviele Frieden waren ihm vorangegangen und gebrochen worden. Dieses Mal schien er gefestigt. Das Reich trat seine linksrheinischen Gebiete an Frankreich ab. Die Nachricht versetzte Europa in einen Freudenrausch. Und Hölderlin, der den Frieden als individuelle Erlösung erhoffte, fühlte das Einverständnis zwischen sich und der Welt wiederhergestellt. »Ich glaube, es wird nun recht gut werden in der Welt«, schrieb er an Rike. »Ich mag die nahe oder die längstvergangene Zeit betrachten, alles dünkt mir seltne Tage, die Tage der schönen Menschlichkeit, die Tage sicherer, furchtloser Güte, und Gesinnungen herbeizuführen, die ebenso heiter als heilig, und ebenso erhaben als einfach sind.«
    Einmal hatte er den Frieden gesehen, ist er nicht nur Einbildung gewesen, damals, in Frankfurt, als der Reitende Bote Buonapartes die Truppen vorm Tor aufgehalten hatte. Als man schrie: Es ist Frieden! Es ist Frieden! Und er hat dann doch nicht gehalten. An diesen Boten dachte er, den sichtbar gewordenen Frieden, an diesen in die verdorbene Wirklichkeit einbrechenden Abgesandten des Ideals, an Buonapartes Reiter. »Versöhnender, der du nimmer geglaubt / Nun da bist, Freundesgestalt mir / Annimmst …«
    Es könnte dauern. Es dauert nicht. Aus der Hochstimmung fällt er in finstere Einbildungen. Die beiden Mädchen spürten ihm nach, lauerten ihm auf, wenn er sie fragte, weshalb sie ihn verfolgten, grinsten sie, dieses Grinsen vergrößerte sich zu drohenden Masken.
    Geht fort, laßt mich in Ruhe! schrie er.
    Es ist die Erschöpfung. Nichts als das. Gonzenbach ließ sich nicht mehr beschwichtigen. Es sei besser, wenn er die Stellung aufgebe, besser für ihn wie für die verschreckten Mädchen.
    Gonzenbach schrieb ihm ein Zeugnis, in dem er erklärte, was Hölderlin Johanna erklären kann: »Sie werden sich erinnern, mein hochgeschätzter Herr und Freund, daß sowohl mein Sohn, als auch ich, Ihnen von zwey jungenKnaben meiner Familie gesprochen, welche zu mir kommen sollten und die eigentlich der Gegenstand meines Erziehungsplans waren«, diese Buben könnten nun nicht nach Hauptwil kommen und damit habe er, Hölderlin, keine Pflichten mehr. Diese wohltätige Lüge mußte ihm helfen.
    Ich habe den Frieden nicht ausgehalten, sagte er zu Karl. Wenn man ihn so erwartet wie ich und vom Ganzen viele Male enttäuscht wurde, gerät man aus dem Gleichgewicht. So findet auch der Frieden seine Opfer.

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    VII
    Die vierzehnte Geschichte
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