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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Anschein nach der Anführer ist, lädt ihn ein, zu übernachten, hier, in der Nähe des Feuers, das ihn warmhalte. Er nickt, spielt den Stumpfen, ist es im Grunde. Sie singen, murmeln miteinander, er versteht sie nicht. Vielleicht werden sie ihn ermorden. Den ganzen Weg schon hat er auf seinen Mörder gewartet. Vielleicht ist es besser, er übergibt ihnen seine Pistole, bietet ihnen sein Gepäck an – er tut es nicht. Er will wach bleiben, rückt näher ans Feuer, sie machen ihm sogar Platz. Er sieht, über die Männer hinweg, deren Schatten das Feuer verzerrt, eine Frau im Eingang, die ihm zuwinkt. Er steht nicht gleich auf, wartet, schlendert dann hinaus, als müsse er nur Wasser abschlagen. Die Frau zerrt ihn am Ärmel, nimmt ihn mit.
    Das sind die schlimmsten Marodeure der Gegend, Monsieur, Sie würden die Nacht nicht überleben. Kommen Sie.
    Sie führt ihn in eine Hütte, die sie nicht allein bewohnt. Auf den Bänken und auf dem Ofen schlafen Kinder. Eines wacht auf, ruft. Die Frau beruhigt es, gibt ihm Brot.
    Haben Sie Hunger, Monsieur? Mögen Sie ein Glas Wein?
    Er spricht zum ersten Mal seit Tagen, und seine Stimmekommt ihm häßlich, ungeübt vor. Wo ist Ihr Mann, Madame?
    Er ist bei der Armee, wenn er noch bei der Armee ist. Sie sind nicht von hier? Sie sind ein Fremder.
    Ich komme aus Deutschland.
    Ein Allemand.
    Ihr fällt keine Frage mehr ein, und er kann wieder schweigen.
    Sie steht auf, zeigt ihm eine Kammer, in die eben ein Bett paßt. Schlaf, sagt sie. Er fragt nach Wasser. Sie nimmt einen Krug vom Ofen. Er wäscht sich, hat aber das Gefühl, daß der Schmutz haften bleibt. Er zieht Mantel, Jacke und Hose aus, legt sich, schläft sofort ein. Später liegt die Frau bei ihm, weckt ihn. Mach’s, sagt sie. Er schüttelt den Kopf. Sie streichelt ihn, dann schlägt sie mit der Faust gegen seine Brust. Ich hab dich geholt, ich hab dich vor diesen Schweinen gerettet. Komm! Ich kann es nicht, sagt er. Ich kann dich nur in die Arme nehmen, nicht mehr.
    Warum macht euch der Krieg alle zu Steinen?
    Ja, wir sind Steine, sagt er.
    Er legt den Arm um sie, schläft ein. In der Früh wacht er daran auf, daß sie sich vorsichtig aus seiner Umarmung löst. Steine, flüstert sie, verdammte Steine. Sie erklärt ihm einen abkürzenden Weg in das Tal der Isle.
    Hier gibt es keinen langsamen Übergang vom Winter zum Frühjahr. Der warme Wind vom Meer bringt dem Tal eine jähe Blüte. Der Weg ist weniger beschwerlich. Er friert nicht mehr. Keine eisigen Winde stellen sich ihm entgegen, die entsetzliche Kruste von Schnee und Schmutz löst sich. Er kann wieder in Sätzen denken, nicht nur in hilflosem, zornigem Gestammel. Und die Sätze reden Landschaft und Menschen an, »in einem schönen Frühlinge«.
    Vor Libourne wandert er am Ufer der Dordogne, erfährt von einem Fischer, daß er sich in der Stadt mit einer Fähre über den Fluß setzen lassen kann. Der Wind riecht salzig, nach Meer. Er ist noch nie am Meer gewesen, nur seine Phantasie kennt es, mit dem »Hyperion« hat er sich ihm anvertraut. Dies ist ein anderes Meer.
    In einem Gasthaus an der Grand Place von Libourne übernachtet er, schläft schlecht, steht noch vor Tagesanbruch auf, läßt sich von der Fähre ans andere Ufer bringen. Die letzte Strecke rennt er beinahe. Er will endlich ankommen.
    Bordeaux ist noch nicht ganz wach. Er fragt nach dem Haus des Konsuls, bekommt ungenaue Auskünfte, wird ruhiger, sieht plötzlich alles nicht mehr verzerrt, den dramatischen, vom Meer feuchten Himmel mit rasch treibenden Wolken, die Häuser, die ihm alle ein wenig zu hell erscheinen, vom Licht getüncht. Auf der Place de la Comédie steht er staunend vor dem Grand Théâtre, dessen Kolonnade seiner Vorstellung von einem griechischen Tempel entspricht, ein mit dem Raum spielender Säulengang, und ebensolche Säulen tragen auch den Balkon überm Portal des großen Hauses, das dem Konsul gehört. Er hatte ohne Mühe hingefunden, mußte nur die Allées des Tourny hinuntergehen.
    Die Familie hat ihn so früh am Morgen nicht erwartet, aber der Konsul empfängt ihn sogleich in einem mit Seidentapeten ausgeschlagenen Zimmer, in dem er tagsüber offenbar arbeitet, läßt Hölderlin ein Frühstück auftragen, erkundigt sich nach den Beschwernissen seiner Reise, stellt ihn seiner Frau und den fünf Mädchen vor, die er zu unterrichten habe, freilich erst vom nächsten Tag an, er müsse sich von den Strapazen erholen.
    Sein Zimmer ist groß, elegant eingerichtet, »fast wohn ich zu

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