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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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herrlich«. Er zieht sich nicht aus, legt sich nicht hin.
    Die Erschöpfung hält ihn wach. Sie werden glücklich sein, hat der Konsul zu ihm gesagt. Glücklich? Wie glücklich? Er beginnt einen Brief an die Mutter, versucht zu berichten, doch nicht einer der Sätze faßt die vergangenen Ungeheuerlichkeiten, dieses Traumgeröll, so wiederholt er den Satz des Konsuls: »Sie werden glücklich sein.« Mit Meyer würde er, dessen war er sicher, nicht warm werden können, doch vielleicht könnte ein bewußter Abstand auch hilfreich sein. Von Ströhlin wußte er, daß Meyer in Hamburg sehr erfolgreich mit Wein gehandelt und sich vor siebenundzwanzig Jahren in Bordeaux niedergelassen und, wiederum vom Glück begünstigt, ein Weingut im Medoc erworben hatte. 1797 war er Konsul geworden. Meyers Frau war eine Französin. Die herrenhafte Zurückhaltung, mit der der Konsul ihn willkommen geheißen hatte, ließ die Eitelkeit des Mannes spüren. Meyer wußte, wie er wirkte; er war gut einen Kopf größer als Hölderlin, mit »einem nicht gut zu Beschreibenden Air«, einer, dessen Ansichten immer gleich zu Befehlen wurden. Madame Meyer beherrschte geschickt und leise den häuslichen Hintergrund. Sie half Hölderlin, sich einzuleben, lobte sein korrektes Französisch, erklärte ihm die Eigenarten der Mädchen, nannte ihm die wichtigsten Geschäfte in der Stadt und die Etablissements, wo er sich abends unterhalten könne.
    Dazu werde es ihm an Zeit fehlen.
    Oft aber spazierte er auf den Quais an der Garonne, und als die Kinder mit einem Wagen zum Meer fuhren, schloß er sich der Gesellschaft an. Zu Beginn des Ausflugs war der Himmel klar gewesen, dann trübte er sich ein, undals sie das Meer vor sich hatten, war es eine aufgewühlte, graue, sich in den Horizont verlierende Wüste: So antwortete die Natur, der er jede Herrlichkeit zutraute, seinem Befinden.
    Es fiel ihm nicht schwer, die Kinder zu unterrichten. Madame Meyer, die ab und zu an den Schulstunden teilnahm, lobte, daß er so anschaulich erzählte und daß er aufpaßte, die ungeübten Mädchen nicht übermäßig anzustrengen.
    Ihn bedrückte es, daß, trotz der komfortablen Umgebung, die Gleichgültigkeit in ihm wuchs, er immer häufiger Halluzinationen hatte. Er ging neben sich her, hörte seine Schritte als die eines anderen und sein ängstlicher Atem wurde zu einem Hecheln neben seinen Ohren. Er bemühte sich, seine Angst vor den Meyers zu verbergen. »Ich bin nun durch und durch gehärtet und geweiht, wie Ihr es wollt«, hatte er der Mutter am Tag der Ankunft geschrieben, nicht ohne leisen Vorwurf: Hatte sie von ihm nicht gefordert, er müsse zum Mann werden? »Ich denke, ich will so bleiben, in der Hauptsache. Nichts fürchten und sich viel gefallen lassen.« Diese Sicherheit war gespielt. Johanna antwortete ihm erleichtert, gab Ratschläge, doch in dem kurz darauf folgenden Brief wußte sie selbst nicht mehr ein und aus: Ihre Mutter, die Großmutter Heyn, war im Februar gestorben. Er hatte sie geliebt, sie war gütiger zu ihm gewesen als die meisten. Aber er konnte nicht trauern. Der Mutter wagte er nicht zu schreiben; er hätte sie nicht trösten können. Erst am Karfreitag schrieb er: »Verkennen Sie mich nicht, wenn ich über den Verlust unserer nun seligen Großmutter mehr die notwendige Fassung als das Leid ausdrücke, … aber ich meines Orts muß mein so lange nun geprüftes Gemüt bewahren und halten …« Er wagte esnicht mehr, aus der Tonlosigkeit, in der kein Ereignis, kein Wort einen Widerhall finden kann, auszubrechen. Seine Verschlossenheit fällt auch den Meyers auf. Sie versuchen ihn umzustimmen, nehmen ihn mit nach Blanquefort, auf ihr Weingut im Medoc. Man müsse für den Sommer Vorsorge treffen. Das Pathos der Landschaft, der hohe, in mittäglicher Glut gerinnende Himmel, sein »Feuer«, die »Stille der Menschen« überwältigten ihn. Hier ist das Meer ein »gewaltiges Element«. Die Kinder finden, Hölderlin sei wie verwandelt. Er könne sogar wieder lachen.
    Das hält nicht lange an. Auf der Rückfahrt sinkt er in sich zusammen, reagiert nicht auf Ansprache, nimmt die Umgebung nicht wahr. Einige Sätze reden in ihm weiter, schon Bilder des Abschieds; er hat sich vorgenommen, auszuhalten, sich nicht durch Geringfügigkeiten und flüchtige Stimmungen verstören zu lassen – aber er kann sich gegen nichts mehr wehren. »Geh aber nun und grüße / Die schöne Garonne, / Und die Gärten von Bourdeaux / Dort, wo am scharfen Ufer / Hingehet der Steg und

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