Härtling, Peter
Württemberger, die den Kleinen bei der Umverteilung nichts ließen, sie womöglich noch betrügen wollten. Homburg habe so gut wie keine Aussichten. Der Graf läßt sich seltsamerweise auf dieses Thema nicht ein, sondern fragt Hölderlin, durchaus behutsam, nach »seinen Schicksalen«. Hölderlin hatte angenommen, daß ihn jede Erkundigung nach den letzten Jahren schmerzen werde, keiner hat es bisher gewagt, zu fragen, nicht einmal Johanna. Er sagt auf, wo er gewesen ist, in Stuttgart, Hauptwil, Bordeaux und Nürtingen. Er habe freundliche, ausgezeichnete Menschen kennengelernt, die sich bemüht hätten, ihn zu unterstützen. Und Landschaften bereist von verwegener, tiefgründiger Schönheit, und, werte Freunde, ich habe die Grenze zwischen Kälte und Hitze durchschritten wie eine Wand.
Damit erklären Sie Religion, sagte der Landgraf.
Finden Sie? Mir schien es damals, die Götter hätten mich verlassen.
Sinclair lachte erleichtert auf, die Spannung ließ nach, der Landgraf erzählte, »um doch bei der Religion zu bleiben«, wie er den alten Klopstock angeregt habe, ein großes Gedicht zu schreiben, in dem Zeitgeist und Religion zueinander fänden, weltliche und geistliche Hoffnung. Doch Klopstock habe die Anregung nicht aufgenommen.
Das ist ein Stichwort. Vielleicht ist er deshalb nach Regensburg gereist, um einen Auftrag zu haben – wenn sie ihn schon fürsorglich aus allen politischen Debatten aussparen, wenn schon Sinclair darüber wacht, daß Horns derbe Wut über die Aristokraten ihn nur in witzigen Verkürzungen erreicht. Nein, er braucht das nicht mehr, er möchte nicht in undurchschaubare Geschichten verwickelt sein. Was der Landgraf andeutet, fesselt ihn. Zwar läßt er sich noch zu abendlichen Trinkrunden verführen, genießt Sinclairs brüderliche Zärtlichkeit, gibt dem mit seinen Einflüssen protzenden Horn seine Sophokles-Übersetzung zu lesen, aber alle seine Kräfte konzentriert er auf den Vorschlag des Landgrafen.
Nach seiner Heimkehr ist Johanna verblüfft über die Änderung zum Guten. Er besucht Kraz und Köstlin, spricht über seine Kindheit, als wäre es die eines andern. Er ist kalt, sagt Kraz. Wie haben sie ihm mitgespielt, jammert Köstlin. Karl ist der einzige, den er nicht abwesend freundlich behandelt. Ihn will er aus dem Haus treiben, von den Rockzipfeln der Weiber weg. Hier bringst du es zu nichts. Hier wirst du immer der kleine Gok sein, der Sohn vom großen Gok. Karl wiederum, mißtrauisch, vermutet, daß der Kranke Johanna für sich allein haben möchte.
Ich kann noch nicht gehen.
Ich bin immer gegangen.
Du kannst sehen, was aus dir geworden ist.
Keiner will ihm wohl, findet Hölderlin. Der Bruder nicht, aber auch nicht Johanna, die ihm in einer Litanei vorrechnet, was sie für ihn ausgegeben hat, ohne daß es ihm etwas eingebracht hätte.
I bin net verrückt, bin net blöd, murmelt er manchmal. Dann versichern gleich alle: Nein, nein, du bist nur ein bißchen krank. Du wirst bald wieder gesund sein.
Er ahnt nicht, daß Johanna mittlerweile auch über seine Liebe zu Susette Bescheid weiß. Der Koffer, in dem er auch die Briefe Susettes in einer doppelt verschlossenen Schatulle aufbewahrt und den er absichtlich in Bordeaux zurückgelassen hatte, war ihm vom Konsul Meyer nach Nürtingen nachgesandt worden und traf ein, als er nach Regensburg unterwegs war. Johanna packte die schmutzige, modrig stinkende Wäsche aus und fand das Kästchen. Sie ließ es, mit schlechtem Gewissen, von einem Schlosser aufbrechen, las die Briefe, ohne erst zu verstehen, da sie vergeblich nach einem Namen der Absenderin suchte, doch aus den genannten Namen und Orten erklärte sie sich die Geschichte und beschloß, sie Heinrike und Karl zu verschweigen.
Sie stellen ihm nach, er weiß es.
Dauernd versuchen sie in ihn zu dringen, ihn auszufragen. Er läßt Johanna und Heinrike nur noch in seine Kammer, wenn sie putzen wollen, verläßt den Raum nicht, beobachtet sie mißtrauisch.
Alles, was er schreibt, schließt er, wenn er ausgeht, weg, und seine Briefe gibt er den Boten, ohne daß die anderen sie zu sehen bekommen.
Sie sind neugierig, sie wollen ihm übel.
Oft schließt er sich ein, lehnt es ab, zum Essen zu kommen.
Er hat in einem Schwung schreiben wollen, der Einfall, mit dem er dem Landgrafen hatte antworten wollen, erschien ihm reich, unerschöpflich. Auch der Apostel Johannes war von seiner Zeit ausgespien worden, ein Verbannter, auch ihm, dem die Tat mißlang, blieb als einzige Waffe
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