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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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»wo viel Gärten« und »das Herz der Erde tuet / Sich auf, wo um / Den Hügel von Eichen / Aus brennendem Lande / Die Ströme und wo / Des Sonntags unter Tänzen / Gastfreundlich die Schwellen sind« zu dem »Gebirg, wo auf hoher Wiese die Wälder sindwohl an / Der bairischen Ebene«. Er hat seine Stimme wieder.
    Im Gasthof trifft er Sinclair nicht an. Er halte sich mit dem Fürsten noch bei den Verhandlungen im Rathaus auf. Es ist Hölderlin eher angenehm. So kann er sich von der Reise erholen, noch ein wenig weiterschreiben.
    Auf dem Gang zu seinem Zimmer spricht ihn ein Herr an, der sich lebhaft freut, ihn wiederzusehen, Sinclair habe schon alle Freunde auf Hölderlins Ankunft vorbereitet – er kann sich an den Mann nicht erinnern, der sich jedoch aus Hölderlins Zurückhaltung nichts macht, sondern sich, die Beklemmung überspielend, vorstellt: Ich bin Fritz Horn, denk an Rastatt.
    Ja, du bist der Horn, sagt Hölderlin, doch der Name bekommt in seinem Gedächtnis kein Echo. Horn, dem die Verwirrung Hölderlins nicht entgeht, erzählt, daß er nicht mehr in preußischen Diensten stehe, wie seinerzeit, sondern daß er in Regensburg für Bremen auftrete.
    Wir müssen unser Wiedersehen feiern!
    Hätte ihn sein Gewissen nicht gedrückt, wäre Hölderlin dieser Einladung nicht gefolgt. Aber Stück für Stück setzt sich die Gestalt wieder zusammen. Gesten werden bekannt, die Redeweise, das Gelächter. Es fällt Hölderlin schwer, der sprudelnden Erzählung Horns zu folgen. In der Gaststube setzen sie sich in einen Erker, sie sind die einzigen Gäste, nun fällt ihm ein, daß es so auch in Rastatt gewesen war, ihr Tisch, Sinclair, Muhrbeck und die andern. Offenbar hält sich seine Erinnerung nur noch an solche bewegungslosen Bilder, kann sie nicht mehr mit Zeit verbinden. Er trinkt hastig, ruft nach einem zweiten Glas, wedelt fahrig mit dem Arm, sieht sich selbst, drückt den Arm fest gegen den Leib. Horn achtet anscheinend nicht aufdiese Unsicherheit, diesen Kampf mit sich selbst, und Hölderlin ist dem wiedergefundenen Freund dankbar für diese Diskretion. Betont, beinahe wie ein Schüler, rezitiert Horn Zeilen aus Gedichten Hölderlins, die er in den letzten Jahren in Almanachen und Zeitschriften gelesen und für seine Sammlung abgeschrieben habe.
    So sind wir doch verbunden gewesen, sagt Hölderlin. Er stellt es nicht fest, der Satz wird zu einer Frage.
    Er erhebt sich, trinkt das halbvolle Glas in einem Zug aus, wischt mit der Hand über den Tisch, verläßt Horn ohne ein Wort der Erklärung. Den Nachmittag wartet er auf seinem Zimmer. Die Notizen von der Reise, mit denen er sich hatte beschäftigen wollen, erscheinen ihm mißlungen, die Zeilen haben ihren Sinn verloren, er weiß nicht mehr, woher sie kommen, weshalb sie ihm wichtig gewesen waren.
    Es hat an der Tür geklopft.
    Er war im Sitzen eingeschlafen.
    Es klopft noch einmal, ungeduldiger, aber er kann nicht reagieren. Sinclair reißt die Tür auf, stürzt auf ihn zu. Sie begrüßen sich nicht, halten sich nur fest. Er möchte sprechen, aber Sinclair schüttelt, um ihn in seinem Schweigen zu bestärken, den Kopf, streichelt ihn. Sie waren allzu lang getrennt gewesen.
    Lieber! Sinclair sagt es ein um das andere Mal. Dann sieht Hölderlin, über die Schulter Sinclairs, einen Schatten im Gang, jemanden, der ihnen zuschaut. Er macht sich aus Sinclairs Umarmung frei, sagt, es ist der erste Satz, den Sinclair seit dem Abschied aus Homburg von ihm hört: Wir werden verfolgt! Beobachtet! Dort lauert einer! Er sagt es aus einer wütenden Angst, als peinigte ihn schon seit längerer Zeit der Argwohn.
    Aber …, sagt der Mann, tritt in das Licht, das aus der offenen Tür in die Diele fällt, und Sinclair ergänzt, was der sagen will: Es ist mein Fürst, Hölder, der Landgraf.
    Hölderlin ist verlegen, stammelt, sucht nach einer Entschuldigung, aber der Landgraf beschwichtigt, er könne jene, die sich im Halblicht herumdrückten, ebenso wenig ausstehen, also sollten sich alle besser im Hellen begrüßen, und er wäre erfreut, dürfte er Hölderlin zum Abendessen einladen.
    Hölderlin redet zu Beginn kaum, gibt karge Antworten, weiß, daß er mit seiner Verstocktheit stört, daß Sinclair ihn ab und zu prüfend von der Seite ansieht, seinem Gesicht ablesen will, wie krank er ist.
    Er sagt: Es ist mir besser. Ich habe mich erholen können.
    Sinclair, der sich ertappt fühlt, versucht auszuweichen, klagt über die Hartnäckigkeit der Badener, Darmstädter und

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