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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Speisereste, die in der Sonne faulen und gären. Als im April 1804 die Belegstücke der beiden Sophoklesbändchen aus Frankfurt kommen, Johanna ihm das Paket geben will – Es sind deine Bücher, Fritz! – reagiert er überhaupt nicht. Sie pocht an die Tür, ruft noch einige Male, immer lauter: Deine Bücher! Deine Bücher!, legt dann das Paket auf die Schwelle. In der Nacht nimmt er es hinein, stapelt die Bände akkurat aufeinander, zählt sie mehrfach, beginnt, eine Liste derer aufzustellen, an die er Exemplare schicken will. Magenau, Neuffer, Conz, die Tübinger, kommen nicht vor. Aber Schelling und Hegel. Sie sind weiter mit ihm gegangen und in seinem Gedächtnis geblieben; Goethe, der Ungeliebte, wohl, aber nicht Schiller, der ihn fallengelassen hatte. Seckendorf, der inzwischen Regierungsrat in Stuttgart ist und den er vergeblich hatte aufsuchen wollen. Und am Ende: Sinclair, »der Einzige«.
    Gegen Sinclairs Hartnäckigkeit ist Johanna schließlich machtlos. Hölderlin werde eine Position als Hofbibliothekar bekommen, müsse den damit verbundenen Pflichten aber nicht nachgehen.
    Lieber nicht! Johanna ist in den Ausreden virtuos, ihr Sohn sei nicht in der Lage, »diese Stelle anzunehmen, nach meiner geringen Einsicht erfortert solche doch einen geortneten Verstand, u. laider ist mein 1. Sohn so unglücklich daß seines Verstandes Kräften sehr geschwächt sind«; sie habe die Sorge, daß ihr Sohn »sein Amt nicht mit gehöriger Aufmerksamkeit versehen könnte, u. eine baldige Entlassung zu befürchten wäre«, diese »würde seinem zu grosem Ehrgefühl, welches ich als seine Mutter gestehen muß seine Schwache Seite ist, auf neue wieder einen zu harten Stoß geben …« Sinclair läßt sich auf keine neuen Diskussionen ein; er überrumpelt sie.
    Er reist nach Stuttgart. Die sich verschlechternde Lage der oppositionellen Abgeordneten zwingt ihn, selbst zu erscheinen, obwohl er gefährdet ist, Kurfürst Friedrich ihn möglicherweise festnehmen könnte. Er konspiriert mit Baz und Seckendorf. Sie suchen nach einer Möglichkeit, der Auflösung des Landtags und Entmachtung der Stände durch den Kurfürsten mit einem Staatsstreich gegen Friedrich und seinen Minister Graf Wintzingerode zuvorzukommen. Im Juni taucht Sinclair, ohne sich vorher angekündigt zu haben, in Nürtingen auf, überredet Johanna, den Kranken versuchsweise für einen Tag freizugeben. Johanna ist außer sich, holt Heinrike zur Hilfe, die sich jedoch zurückhält, da sie eher froh wäre, wenn sie den Bruder wenigstens für eine Zeit los hätte. Die Kutsche ist fürden nächsten Morgen bestellt. Sinclair müsse einen Abstecher nach Tübingen machen, von da aus gehe es nach Stuttgart.
    Was sollen wir packen? fragen die Frauen. Wie lange wird er sich in Homburg aufhalten? Es ist nicht alles gewaschen.
    Sie können ihm, was er braucht, nachschicken, Frau Kammerrat.
    Es ärgert Johanna, daß Hölderlin unbeteiligt herumsteht.
    Tu doch was, Fritz!
    Ja, gleich.
    Sinclair ist entsetzt über den wüsten Zustand von Hölderlins Kammer, sagt dem Freund rasch gute Nacht; Johanna hat Sinclair in Großmutter Heyns ehemaligem Zimmer untergebracht.
    Hölderlin verschließt die Tür hinter sich, legt sich nicht schlafen. Vor sich hinmurmelnd, räumt er das Zimmer auf. Sie sollen ihm nichts nachsagen können. Er kniet sich hin, wischt mit einem Lumpen den Boden. Danach sortiert er die Bücher und Manuskripte aus, die er mitnehmen will, bindet sie zusammen.
    Wieder, wie so oft, setzt er sich ans Fenster, wartet, bis es hell wird. Die Kinder klopfen als erste an. Sie sind traurig und aufgeregt.
    Kommst du bald wieder?
    Wer weiß es.
    Du mußt aber!
    Man sagt es.
    Er umarmt eins nach dem andern, verspricht, bei der Heimkehr die allerschönsten Geschenke mitzubringen.
    Johanna freut sich, daß er den neuen Anzug trägt, den erdie letzten Jahre nicht ein einziges Mal aus dem Schrank geholt hatte.
    Sie weint, hat den Kampf um ihn aufgegeben. Sinclair versichert, er werde ihr regelmäßig über das Ergehen Hölderlins schreiben.
    Heinrike, Karl, die Kinder winken. Johanna läuft bis zur Neckarsteige neben dem Wagen her.
    Ade.
    Er wird Nürtingen nicht wiedersehen.
    Ich hoffe, die Reise wird dir nicht zuviel. Sinclair legt den Arm um Hölderlins Schulter, wartet eine Antwort nicht ab, erzählt von den sich türmenden Schwierigkeiten, zwar hätte man in Baz, Seckendorf, Gutscher und einigen anderen Männern aus dem Landschaftsausschuß entschlossene Verteidiger der

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