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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Friedrich ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ein Jahr alt, Christiane vier. Und Charlotte, die Lotte, kommt erst sechs Jahre nach dem Einzug Hölderlins auf die Welt. Die Kinder wachsen mit ihm auf, werden mit ihm erwachsen. Sie sehen ihn nicht altern. Er bleibt für sie immer gleich. Sie hören, daß er verrückt sei. Für sie ist er es nicht, höchstens ein schwieriger Hausgenosse, der Hölderlin, der Onkel Fritz. Sie kennen ihn nicht anders, sie lieben ihn, wollen ihn nicht verlieren. Hat er, wenn er mit ihnen spielte, wenn sie zu ihm kamen, zutraulich, ohne die Beklommenheit der Erwachsenen, sich vage erinnert an seine pädagogischen Mühen, an die Kinder,die in seinem ersten Leben eine so bedeutende Rolle spielten? Karl und Rike im Grasgarten, Fritz von Kalb, Henry und Jette Gontard, die Breunlin-Kinder?) Zimmer wägt ab. Er wird sich nicht überstürzt entschieden haben, er war ein bedächtiger Mann.

    Die Familie nimmt Hölderlin auf. In den ersten Jahren wechseln die heftigen, ihn tief erschöpfenden Anfälle mit Phasen einer »kalten und einsilbigen« Ruhe. Zimmer schafft ein Klavier an, auf dem Hölderlin viel spielt. Da er niemandem etwas antut, ganz mit sich selbst beschäftigt ist, darf er im Haus und vor dem Haus frei umhergehen, aber die vielen Besucher führt man, nach einem erprobten Ritual, stets in das runde Zimmer. Viele kommen: Conz und Haug, Uhland, Kerner und Schwab. In den späteren Jahren Mörike, Waiblinger und Gustav Schwabs Sohn, Christoph Theodor, zu dem Hölderlin besonderes Vertrauen faßt. Nie empfängt er die Betrachter seines Wahnsinns sitzend. Er hat sich eine Szene zurechtgelegt, steht, den einen Arm gestützt auf ein halbhohes Wandschränkchen, nachlässig und aufmerksam, und läßt nichts zu als den Austausch von Höflichkeiten. In den späteren Jahren erzählt er mitunter, oder er liest aus seinem »Hyperion« vor. Bittet man ihn aber um ein Gedicht, so schreibt er rasch einen Vierzeiler, jene Strophen des Herrn Scardanelli, die aus einer rätselhaften Mechanik entstehen, schön und unfaßbar, Spieluhrenverse – wie die für Zimmer: »Die Linien des Lebens sind verschieden, / Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen. / Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen / Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.«
    Manchmal nimmt die Familie ihn mit aufs Feld, in den Garten, zur Zwetschgenernte. Er darf die Kinder im Wagen ziehen, vergnügt sich an ihrem Lachen, grüßt angeregt nach allen Seiten, begegnet Majestäten, Päpsten und Hofräten, und im Garten sieht er der Arbeit zu, läuft täppisch herum »und lachte recht, wenn man schüttelte und die Zwetschgen ihm auf den Kopf fielen«.
    Nach fünf Jahren, im Frühling 1812, wird Zimmer furchtbar auf die Probe gestellt; Hölderlins Krankheit erreicht ihren kritischen Höhepunkt. Mit dem Brief, in dem er Johanna die Krankheit schildert, hat er sich selbst, seiner Liebe und Geduld, das Denkmal gesetzt: »Morgens wurde Er dann ruhig, bekam aber große innerliche Hize und Durst, wie einer im starken Fieber nur immer haben kann, und einen Durchlauf dazu, Er wurde dadurch so schwach das Er im Bett bleiben mußte, Nachmittags einen sehr starken Schweiß. – Den 2ten Tag noch eine stärkere Hize und Durst, nachher einen so starken Schweiß das das Bett und alles was Er anhatte ganz durchnäßt wurde, diß dauerte noch einige Tage so fort, denn bekam Er einen Ausschlag am Mund, Durst Hize und Schweiß blieben nach und nach weg, aber Leider der Durchlauf nicht, diesen hat Er noch immer fort, doch nicht so stark mehr. – Jetzt ist Er wieder den ganzen Tag außer dem Bette und äusert höflich, der Blik seines Augs ist freundlich und Liebreich auch spielt und singt Er, und ist überigens sehr vernünftig. – Das merkwürdigste dabei ist, daß Er seit jener Nacht keine spur von Unruhe mehr hatte sonst hatte Er doch wenigstens alleander Tag eine Unruhige Stunde. Und auch der eigene Geruch der besonders des Morgens in seinem Zimmer so auffallend war hat sich verlohren. – Ich habe den Herrn Professor Gmelin, als Arzt zu Ihrem Lieben Sohn hohlen laßen, dieser sagtemann könne über Ihres Sohnes würklichen Zustandt noch nichts bestimtes sagen es scheine ihm aber ein Nachlaß der Natur zu seyn, und Leider gute Frau bin ich in die traurige Nothwindigkeit versetz es Ihnen zu schreiben das ich es selbst glaube.«
    Begonnen hat es damit, daß Zimmer ihn in der Werkstatt rumoren hörte, schreien. Er lief hinunter, Hölderlin war mehr

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