Härtling, Peter
Hof suchten sie die Schatten, doch einer der Hunde begann zu kläffen, weckte die andern.
Des hat uns grad no g’fehlt.
Dann müssen sie quer über den Grashof rennen, unter dem schwarzen Laubgewölb der Ulme hindurch, und Bilfinger drückt gegen das Fenster.
Er hatte erwartet, daß es geschlossen ist. Es ist mein Fatum, flüsterte er, ich hab’s euch gesagt.
Fink bemerkte als erster die Laterne, die sie gebieterisch zum Haustor winkte: Jessas, des isch d’r Alte, der hot auf uns g’wartet.
Bilfinger rief: Kommet, mir hauet ab.
Er wunderte sich über die Ruhe, die ihn überkam: Des hot koin Zweck.
Sie gehen, hintereinander, aufs Tor zu, er als Letzter. (Solche Buß- und Angstgänge kennt jeder aus seiner Kindheit, wiederholt sie später in der Erinnerung und in Träumen, wie sich die Erwachsenenwelt, dieser Wall von nie artikulierter Autorität drohend aufbaut. Es fällt mir nicht schwer, mit ihm zu gehen, die Taubheit zu empfinden, eine Art Hingabe an die lauernde Übermacht, jetzt ohne Kontakt zu den Kameraden, jeder stumpf in sichselbst: dort, da vorn, wartet der große Flucher, Prügler, dem alles erlaubt ist, der nach Belieben richten kann. In solchen Zuständen werden Bilder fest; Nebensächlichkeiten treten nach vorn, bekommen eine unsinnige, doch unlöschbare Bedeutung: daß er, zum Beispiel, die steinerne Toreinfassung sieht, deren asymmetrische Verfugungen, nachgezeichnet von dem Licht der Laterne.)
Ah, der Bilfinger. Das hab ich erwartet.
Als hätte es der Prälat nicht vorher schon gewußt, als seien ihm die Namen der Ausreißer nicht längst von Helfern genannt worden. Ihm kommt es auf den Effekt an; solche Schauspiele schätzt er.
Tretet näher, meine Herren Alumnen. Sonst reißet ihr euer vorlaut’s Maul doch au auf. Also, Büble. Er hat die Laterne auf einem steinernen Postament abgestellt, hält die Hände auf dem Rücken, mit ihnen den Stock versteckt. Den kennen sie. Mit dem ist er treffsicher, und häufig ist er das Instrument einer kalkulierten, genießenden Wut.
Jeder versucht, hinter dem andern zu verschwinden, der Schatten des andern zu sein. Bilfinger faßt Mut, geht als erster die wenigen Schritte nach vorn, postiert sich vor dem Prälaten, freilich wortlos, denn er weiß, jedes Wort, auch die demütigste Entschuldigung, würde die zu erwartende Tirade nur verlängern.
Fehlt euch was, Fink und Hölderlin? Fink tritt neben Bilfinger, der wiederum, ohne daß es auffällt, mit der Hand nach Hölderlin sucht, dessen Arm zu fassen bekommt und den Freund sanft zu sich zieht.
Helden seid ihr, Helden, wenn ich euch so anschau. Aber hinterhältig dazu. Dumm seid ihr nicht, aber verschlagen. Da juckt’s euch zwischen den Beinen, da wollt ihr wie die Mäuse aus dem Loch schlupfen, träumt von Mädchenund traut euch nicht, euch reicht’s, daß ihr heimlich mit dem Schwanz wedelt – oh, diese Materie kenn ich! Aber den lieben Eltern, so man solche noch hat, vorgaukeln, wie fleißig, wie degenmäßig man ist, wie man seinen Pflichten nachgeht, auf seine Lehrer hört und ihnen zugeneigt ist, wie man keine falschen Gedanken hat, höchstens unschuldig in Schuld gerät. Ich kenn euch Seifensieder, euch verwöhnte Burschen, – ha, Bilfinger, was meinsch?
Bilfinger hat keine Meinung. Er sieht am Prälaten vorbei, auf den kleinen Auslug in der Tür.
Nix, koi Wort? Und du Fink, koi Wort d’r Reu, d’r Einsicht? Wartet, Büble, euch werd ich einheizen. Ihr werdet euern Ovid singen können. Das versprech ich euch. Was meinsch, Hölderlin? Bisch neig’risse worde von dene zwoi Sauhund, ha? Hat d’rs d’ Sprach verschlage?
Er hätte wie die beiden andern stumm bleiben sollen, doch er suchte nach einer Erklärung, mit der er sich aus dieser Szene entfernen könnte – keine Tätlichkeit, keine Annäherung, keine Strafe. Es war, sagt er, durchaus eine Unbesonnenheit. Bilfinger umfaßt mit der Hand seinen Unterarm. Sag nichts.
Es solle gewiß nicht zur Übung werden.
Der Hohn Erbes ist die Antwort: Zu Übung soll’s net werde, sagt dieser Hanswurscht. Noi, Übung net. Als hätt er’s net scho oft g’übt. Witscht aus em Fenschter naus und dem nächste Mädle unterm Rock. Paß auf, daß i di net zum Krüppel hau.
Er »bittet« sie ins Haus, bleibt in der Tür stehen, so daß sie nah an ihm vorüber müssen, zu seiner Freude sich unwillkürlich, schon die ersten Schläge fürchtend, zusammenducken.
Würschtle! Halt! schreit er. Keinen Schritt weiter! Des Licht reicht mir. Unter dem
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