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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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erweist, wie geschlossen diese Gesellschaft war); Hölderlin ist achtzehn.
    Die Osterfeiertage verbrachten sie also in Markgröningen. Es waren Tage fast ohne Bewegung. Die Krankheit der Tante bestimmte alles. Danach fuhren sie wieder nach Löchgau; Johanna, erschöpft, hoffte sich entspannen zu können, wozu sie nur kurz kam, denn der Zustand ihrer Schwägerin wurde schlimmer, und Blum entschloß sich, Johanna zurückzurufen, woraus in seinem Tagebuch ein Husarenstück an Organisationsvermögen wird: »… dakeine Pferde im Ort zu erhalten waren um sie abzuholen, so brachte doch ich einen Kutscher auf, der aus obligation gegen mich mir meine Bitte nicht abschlug, und gestern die Frau Kammer-Räthin nebst ihrem Sohn in Löchgau, abgeholt, und hieher zurückgebracht hat.«
    Wahrscheinlich ist er still gewesen, hat zugeschaut. »Da saß ich«, schreibt er, zurück in Maulbronn, an Nast, »ganze vier Wochen am Totenbette meiner Tante in Gröningen, und lernte dulden – von ihr! und jetzt, Bruder, jetzt ist sie tot – O Bruder! sie soll so ganz mein seliger Vater gewesen sein, ich hab ihn nie gekannt, ich war drei Jahr alt, als er starb, aber ein herrlicher Mann muß er gewesen sein, wenn er war wie sie.«
    Da ist es wieder, das Bild des »ersten Vaters«, lebendig nur im Vergleich mit einer Sterbenden; »ich hab ihn nie gekannt«, doch immer wieder versucht er, ihn sich erkennbar zu machen.
    Im selben Brief an Immanuel schreibt er, seine Gedichte seien »wirklich auf der Wanderschaft«. Er hat sie Rudolf Magenau geschickt, den er in Markgröningen kennengelernt hatte. Magenau zu begegnen, war nicht schwierig: er gehörte zum Kreis, war denselben Weg gegangen wie Hölderlin, nur ihm um zwei Jahre voraus, Denkendorf, Maulbronn, und studierte seit 1786 auf dem Tübinger Stift. Magenau war der Sohn des Markgröninger Stadtschreibers (es ist immer die eine Schicht, Stadtschreiber, Bürgermeister, Pfarrer, Professoren, Kammerräte, geistliche Räte, es sind die durch Privilegien geschützten, meist wohlhabenden Kirchen- oder Hofbeamten, sich absprechend, sich und die Kinder fördernd), der wiederum mit Schubart befreundet war, dem bewunderten Rebellen. Magenau, obgleich sich poetisch versuchend, war der Gegentyp zu Hölderlin, unangefochten, selbstsicher, derb und witzig; später war er Pfarrer, schon nach einigen Jahren aus der Freundschaft entlassen, sammelte Volksballaden, lokale Legenden, ein angesehener Heimatforscher. Aber jetzt ist er von Bedeutung. Seine Belesenheit, seine Urteile, nicht zuletzt, daß er, über den Vater Magenaus, mit Schubart in Verbindung steht, beeindrucken Hölderlin. Er gibt Magenau ein Konvolut seiner Gedichte und erhält umgehend eine Antwort, in der sich Magenau als erfahrener Literat aufspielt: »Man glaubt es kaum, wie knabenmäßig die HE(rren) aus Berlin solche Sächlein belachen«, womit er Hölderlins Neigung zu »minder gewöhnlichen Wörtern« meint, die anderswo auf Unverständnis stoßen könnten, so solle er zum Beispiel nicht schreiben »jagt der Strom«, sondern tobt oder stürzt. Er rät Hölderlin gutmeinend, aber falsch, versucht ihm die Klischees einzureden, die bei der modischen Kritik offenbar gängig sind, obwohl er eben dies verurteilt. Hölderlin haben die Einwürfe nicht verdrossen. Er hält sich weiter an den Älteren, wenigstens für ein paar Jahre.
    Blum, nun verlobt mit Friederike Volmar, und seiner Selbständigkeit sicher, lädt Hölderlin ein, mit ihm und der Braut nach Speyer, der Heimat Blums, zu reisen. Hölderlin ist unbeschwert wie seit langem nicht mehr. Der Mamma wird er ein Tagebuch schreiben, in dem alle Ausgaben säuberlich verzeichnet sind, obwohl der »Vetter Blum« auf der Reise »die meiste Zeche« bezahlt habe. Am 2. Juni 1788 reitet er am frühen, »belebenden« Morgen los, über Knittlingen, »die gesegneten Gefilde der Pfalz«, Brettheim, Diedelsheim, Gondelsheim, Heidelsheim nach Bruchsal, wo er in einem Wirtshaus mit Blum für die gemeinsame Weiterreise verabredet ist. Ich habe denWeg auf der Karte verfolgt, nicht nach Straßen gesucht, sondern nach Wegen, Pfaden am Rand der grünmarkierten Wälder, habe mich bemüht, die Stimmung dieses ersten Aufbruchs nachzuempfinden, mir gedacht, daß es ja selbstverständlich für ihn gewesen sein muß, zu Pferde unterwegs zu sein, daß auch Morgenritte für ihn nicht ungewöhnlich waren, denn man mußte stets früh aufbrechen, um ans Ziel zu gelangen – die Reisezeiten waren länger. Dennoch war es für

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