Härtling, Peter
Sie bei uns gewesen. Es ist Ihre Phantasie.
Ein Licht, das fester ist als anderes Licht.
Ja, wie ein Körper.
Er nickte heftig, war versucht, sie an den Händen zu fassen, lehnte sich aber zurück, preßte seine Hände aneinander: Ein Licht, das sich so verfestigen kann, daß Gestalt daraus wird.
Neuffer sagte: Sehen Sie, Mama, so ist er, hochgestimmt oder traurig.
Wie es bei Schubart gewesen sei, fragte sie, ob er ihnen Ratschläge für ihre Poesie habe geben können? Er ging auf die Frage nicht ein, wollte vielmehr wissen, ob sie die Rebellion gegen die Türken erlebt habe.
1770, beim großen Aufstand, seien sie nicht mehr im Lande gewesen, doch sie habe vorher schon Rebellen gekannt; sie hätten sich stets beim Popen getroffen.
Daß ein solches Volk so lange ohne Freiheit sein müsse.
Es wird nicht mehr lange dauern.
Und nicht wahr, Madame Neuffer, sagte er ein wenig zögernd, das ist ja nicht das einzige Land, in dem der Mensch ohne Freiheit atmen muß.
Gehören Sie auch zu denen, die nach Frankreich schauen?
Sollte es unsereiner nicht?
Ach, lieber Magister Hölderlin, das bringt uns doch nur unnötige Erregung.
Aber wie können Sie, eine Griechin, so etwas meinen?
Sie erhob sich, es sei an der Zeit, sich den anderen anzuschließen, sie hätten sich ja auch ausgiebig über Griechenland unterhalten, und es hat mich sehr entzückt, wie Sie übers griechische Licht gesprochen haben, Herr Hölderlin. Den weiteren Abend war er melancholisch, nicht gelaunt, Gespräche zu führen, Neuffer tadelte ihn, er solle sich nicht wie ein Holzbock benehmen.
Er habe heftige Kopfschmerzen, dieser Tag sei doch sehr lang gewesen.
Die Hausherrin gestattete ihm, sich früher zurückzuziehen. Oben, in der Stube, legte er sich nicht hin, setzte sich ans Fenster, probierte Sätze aus: über das Meer, die Berge Griechenlands, die guten Götter und Geister, überdie Freiheit, die die geborene Pelargos so ungleich abwog.
Anderntags wanderte er Neuffer voraus; er könne nicht bis in den Vormittag hinein warten. Er sei doch wunderlich, wenngleich wohl mit großen Gaben ausgestattet, fand Frau Neuffer. Manchmal muß man ihn spinnen lassen, sagte Neuffer, der ungern ohne Begleitung durch den Schönbuch nach Tübingen gehen wollte.
Es ist das Jahr der Revolution. Er hat, es ist anzunehmen, viel über die Ereignisse in Paris gelesen, gehört, hat debattiert, sich ereifert. Im Juli 1789 wird die Bastille gestürmt. Zuvor hatten sich die drei Stände vereinigt, der König, unter Druck, darin eingewilligt. Die Nachrichten verbreiteten sich rasch, wurden, je nach politischem Standort, kommentiert. Viele Briefe, Tagebuchblätter, Aufrufe bezeugen die Stimmung des Aufbruchs, einen Rausch der Hoffnung, der die jungen Männer packte – bei ihm, bei Hölderlin, ist wenig davon zu finden. Aber seine Umgebung muß ihn mitgerissen haben, die ihm Nächsten waren aufgewühlt, dachten und handelten mit. Ich denke weniger an Neuffer und Magenau, sondern an jene, denen er sich besonders verbunden fühlte, an Stäudlin, Conz, Hegel. Ihre Leidenschaft bezieht ihn ein. Und doch wird er auch sie fürchten. Keiner darf ihm auf die Dauer zu nah kommen. Wie schon im Seminar wird er sich den allzu Tätigen entziehen. Der handelnde Zorn, die öffentliche Tat sind ihm unheimlich. Zwar träumt er, wie alle, von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Freiheit, und diese Träume gehen in seine Gedichte ein, doch das Ideal und die eroberte Wirklichkeit, Poesie und Leben, versteht er geradezu ängstlich auseinanderzuhalten. Es ist die Lehre der Kindheit, sich nicht einzumischen.
Wie erreichte ihn das Unerhörte, wie reagierte er? Gab es Stunden, in denen er alle die neuen Formen nachstammelte, gemeinsam hoffte, auf das erwartete Menschenglück bedenkenlos setzte? So, wie ich ihn jetzt kenne, bin ich sicher. Nur wird er manchmal über sich selbst erschrocken gewesen sein. Er wußte, daß er über die Grenzen denken und leben konnte und mußte – doch mit anderen und für andere vermochte er es nicht. Neuffer erzählte ihm, mit nicht geringer Anteilnahme, von den »Umtrieben« Stäudlins, und Hölderlin ergreift Partei für den, dessen Erscheinung ihm unvergessen geblieben war, den er sich zum Freund wünscht, weil der, wie so häufig seine Freunde, ein Entschlossener ist, einer, der Idee und Tat zu verbünden versteht. Solche Männer sind ihm lieb.
Erzähl mir von ihm, bittet er.
Lies, was er in Schubarts »Chronik« schreibt, erwidert Neuffer, es ist nicht nach
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