Härtling, Peter
die mächtigen Begriffe herrschten.
Neuffer, im literarischen Treiben des Landes kundig, sorgt für Verbindungen, weist dringlich auf den begabten Freund hin, der fürs »Ernsthafte, Erhabene und Schwärmerische eingenommen« sei. Das ist ein Bild nach dem Geschmack der Zeit.
Im Februar und März des neuen Jahres hält Hölderlin sich zu Hause auf. Er ist krank, ein »wundes Bein« macht ihm zu schaffen. Vielleicht war das Leiden nur Vorwand, um dem Stift zu entkommen, bei der Mutter, den Geschwistern zu sein, Kind zu spielen, gehütet zu werden. Er macht sich gern klein, kauert sich schutzsuchend zusammen. Er ist mürrisch, hat eben endgültig mit Louise gebrochen. Johanna begreift diese Sprünge nicht, auch daß er sie wiederholt zu überreden versucht, ihn bei den Juristen studieren zu lassen, geht ihr nicht ein:
Daß du nie ruhig sein kannscht, Bub.
Er verhalte sich besonnen, nur zwinge man ihn fortwährend, gegen seine Vorstellungen zu handeln.
Des isch net wahr; sag’s em, Rike, daß des net wahr isch.
I seh des au net, Fritz, Mamma hat wirklich recht.
I woiß, daß i net verträglich bin.
So schließt er Gespräche oft ab, macht die Mutter hilflos.
Er liest viel Klopstock, mit Karl, den er häufig zu sich aufs Zimmer ruft; für ihn rezitiert er Klopstock, philosophiert über die Unsterblichkeit, den Ruhm.
Des isch wie e Sucht, verstehsch?
Der Junge nickt.
Des kannsch net verstehe, des woiß bloß oiner, der schreibt.
Lies vor, bittet Karl.
Hörsch au wirklich zu?
Ganz g’wiß.
»Reizvoll klinget des Ruhms lockender Silberton / In das schlagende Herz, und die Unsterblichkeit / Ist ein großer Gedanke, / Ist des Schweißes der Edlen wert!«
Des isch schö, des klingt guet.
Des isch von Klopstock.
Für Johanna bleibt er in diesen Wochen fast unerreichbar. Zu Bilfinger sagt sie: Er ist einfach maßleidig. Er kommt nicht richtig zu sich.
Im April besucht er Neuffer in Stuttgart. Es sind zwei Tage voller Anregungen, Aufregungen, erste Berührungen mit den »Großen«, und es kann sein, daß sich einige der Szenen ihm auf Dauer einprägten, womöglich in Sätzen wiederkehren, die sich für den späteren Leser nicht erschließen. Es ist seine Erinnerung, es sind seine Erfahrungen. Aber ich ahne, wenn ich davon erzähle, seine Erregung. Das ist nun doch neu. Das ist, was er sich wünschte.
Neuffer bringt ihn zur Wohnung Schubarts. Seit zwei Jahren ist Schubart frei. Herzog Carl Eugen hatte ihn, bedrängt von vielen, vom Hohenasperg entlassen, und nicht nur das, nun überschüttete er den Gebrochenen mit Vergünstigungen, machte ihn zum Theaterdirektor, gestattete ihm sogar, die »Vaterländische Chronik« fortzuführen, freilich unter Zensur und mit dem Wissen, daß Schubart es kaum mehr wagen würde, die ihm so huldvoll geschenkte Freiheit erneut schreibend zu gefährden.
Sie wurden von einer Bedienerin in einen elegant möblierten Salon geführt, der gar nicht bewohnt schien, wohl eher zum Vorzeigen gedacht war. Jetzt sollte er ihm begegnen, dem feurigen Schreiber der Freiheit, dem Bewunderer Voltaires und Oetingers, dem Verfasser der »Fürstengruft« und des »Ahasverus«, den er besonders liebte. Sie müssen längere Zeit warten. Schubart scheint aufgehalten. Sie wagen sich nicht zu setzen, reden nicht miteinander. Neuffer sieht aus dem Fenster. Hölderlin geht mit kleinen Schritten auf und ab.
Schubart habe eben viel zu tun jetzt, sagt Neuffer unvermittelt und ein bißchen ironisch.
Kurz danach tritt er auf. Hölderlin hatte sich ein anderes Bild von dem Mann gemacht. Er ist aufgeschwemmt, sein Gesicht wulstig und rot. Er bewegt sich schwerfällig, man hört seinen Atem. Die zehnjährige Gefangenschaft hat ihn sichtbar zerstört, und auch nun nimmt er keine Rücksicht auf sich. Seine Kleidung ist unordentlich, die Weste falsch geknöpft. Er riecht nach Wein, ein halbwüchsiges Mädchen, vielleicht die Tochter, bringt auch, kaum ist er eingetreten, auf einem Tablett einen Krug Roten und drei Gläser.
’s isch recht, sagt er, begrüßt Neuffer vertraut, wendet sich Hölderlin zu: Des isch also der junge Mann mit dem große Talent.
Mit einer fahrigen Armbewegung lädt er sie ein, sich zu setzen, läßt sich selbst schnaufend auf die Chaiselongue fallen:
’s ist arg, ’s ist arg, sagt er, und Hölderlin weiß nicht, was damit gemeint ist, ob die Leiden, die diesen schweren Leib plagen oder die Talente der jungen Leute.
Er hatte sich beim ersten Anblick des aus den Fugen geratenen
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