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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Vorjahr von seiner Lehrstelle an der Lateinschule abgegangen und nun Pfarrer in Oberensingen war, besuchte ihn, wie auch Köstlin. Nicht, daß sie ihm fremd geworden wären, er merkte jedoch, wie er sich aus ihrer Welt entfernte. Sie redeten mit ihm, als sei er noch der Bub, dem es in Latein und Griechisch zu helfen gilt.
    Erst in den letzten Ferientagen wagt er es, die Mutter auf seine Zweifel am Theologiestudium anzusprechen. Es ist Abend. Sie sitzt, wie er es von seiner frühesten Kindheit kennt, am Fenster, stickt. Wie er sie so sieht, empfindet er die Ruhe, Festigkeit, die von ihr ausgeht, aber auch die Melancholie. Er liebt sie wie keinen zweiten Menschen.
    Sie hat ihn bemerkt, er nimmt einen Stuhl, trägt ihn zum Fenster, setzt sich zu ihr. So haben sie oft gesessen. Johanna erzählt ihm von Bekannten, von Rikes Freundeskreis. Das ist ihm vertraut. Allzu lange bleibe die Rike nicht mehr im Hause, es werde dann einsamer werden, Karl freilich solle, solange er in Nürtingen die Schreiberei lernt, bei ihr wohnen.
    Du willsch mir ebbes sage, Fritz, gell?
    Des isch scho vorbei, des waret so Gedanke …
    Hasch di no immer net ans Stift g’wöhnt?
    Noi, des werd i au nie.
    Später wirsch m’rs danke.
    I hoff, Sie behaltet recht.
    Glaub m’rs, Fritz.
    Die Wechsel zwischen heftiger Reaktion und Lethargie nehmen zu. Im Oktober 1789, während der Herbstferien, hält er sich mit Neuffer für eine Woche in Stuttgart auf, lernt endlich Stäudlin kennen. Nicht allein der Mann, der zwölf Jahre älter war als er, literarisch bekannt und mit Schiller noch immer im Streit, zogihn an, auch dessen häusliche Umgebung, vor allem die Schwestern, die belesen waren, sich an den Unterhaltungen beteiligten, und von denen eine, Rosine, sich mit Neuffer verlobte.
    Ich kenne Stäudlin von dem Ölbild Philipp Friedrich Hetschs. Ganz einfach könnte ich sagen: Das ist ein schönes, sehr empfindliches Gesicht. Doch ich denke auch an die Zeit des Porträtierten: Hier ist ein fast angestrengt Aufmerksamer gemalt, jemand, der grübelt und handelt in einem. Die übermäßig hohe Stirn nimmt beinahe die Hälfte des Gesichts ein. Auf dem Bild leuchtet sie. Die Augen sind nicht groß, wirken ein wenig verkniffen, doch der Blick ist fest. Unter der schmalen Nase ein breit auslaufender, durchaus genießerischer Mund. Der Schädel ist schmal. Dieses Gesicht ist verwandt mit den Gesichtern der französischen Aufrührer, dasselbe Glühen wie bei Robespierre, bei Desmoulins oder Brissot, ausgemergelt vom Denken, vom Hoffen. Ich weiß, daß ich interpretiere. Aber nur wenige Bilder, die ich aus Hölderlins Umgebung kenne, sind mir so nahe. Ich möchte ihn in Bewegung sehen, beim Reden zuhören, beim Zuhören zuschauen. Als einen »herrlichen Mann« beschreibt ihn Hölderlin. Er muß es gewesen sein. Stäudlin verdiente sich sein Geld als Advokat. Auf eigene Kosten gab er Almanache heraus, in denen er »Talente des Landes« versammelte. So wurde er zum »Oberpriester der schwäbischen Musen«, in seinem Einfluß auf die jungen Dichter Schubart ebenbürtig. Stäudlin setzte auch, nach dem Tode Schubarts, dessen »Vaterländische Chronik« fort, allerdings schärfer und ganz auf die Sache der Revolution setzend. Dies führte dazu, daß er, Carl Eugen war eben gestorben, von dem neuen Herzog des Landes verwiesenwurde. In Mainz versuchte er sich als politischer Journalist zu etablieren. Es gelang ihm nicht. 1796 ertränkte er sich im Rhein bei Straßburg.
    Es ist eines jener Leben, das mit all seinen Auftrieben und Verzweiflungen eingeht in Hölderlins Gedächtnis.
    Er wird Stäudlin auch später nicht vergessen, sich eher erinnert haben an seinen schönen Zorn, wie er die Menschenrechte vortrug oder mit ihm von Griechenland schwärmte, wie sie über seine Gedichte redeten, die Stäudlin dann in drei Almanachen druckte.
    Hier hatte er einen Freund, der ihn das erstemal ausschließlich auf dem Weg förderte, den er zu gehen sich vorgenommen hatte. Und es war der erste in einer Reihe von Freunden, die ihre Existenz in der Politik aufs Spiel setzten, für die dieser Aufbruch nicht allein Frankreich galt, sondern der ganzen Menschheit.
    In den Gesprächen wird sich vieles vermischt haben: Die gemeinsame Zuneigung zu Griechenland, der antiken Landschaft, dem Götterhimmel und seinen edel gesehenen Gesetzen; die gegenseitige Prüfung eigener Arbeiten; Mitteilungen über Lektüre, daß er, wie die anderen, Rousseau für sich entdeckt habe; Nachrichten aus den

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