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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Helden geekelt und sich vorgenommen, sobald es auch nur ginge, aufzubrechen, doch, ihm gegenüber sitzend, den Blick der geröteten, durch die gequollenen Lider fast blinden Augen aushaltend, begriff er, daß diesein Opfer maßloser, menschenverachtender Macht war, einer, den der Tod gezeichnet hatte und der nun von seinem Henker ausgehalten wurde.
    Neuffer bemühte sich, mit einigen Bemerkungen über die Stuttgarter Gesellschaft das Gespräch zu eröffnen, nachdem Schubart das Glas gehoben, daraus einen tiefen Zug getrunken und geschwiegen hatte. Nur der rasselnde Atem war zu hören.
    Er achtete nicht auf Neuffer.
    Eine Zeitlang starrte er Hölderlin an, dann sagte er:
    Des isch alles a Saustall, gell?
    Sie lächelten und nickten.
    Das gehört aufgeräumt. Jetzt sprach der Hochdeutsch.
    Mein Freund Neuffer hat Ihnen, Euer Hochwohlgeboren, einige meiner Gedichte zur Prüfung gegeben.
    Du bisch gut, Büble, Euer Hochwohlgeboren, laß doch den Schmalz weg.
    Er hätte den alten Mann weiter fragen können nach den Gedichten, doch der hatte anscheinend keine Lust, sich darüber zu äußern. Er sagte vielmehr:
    Nach Frankreich muß man gucken.
    Ja, wollte er antworten, dort beginnt man über den Menschen nachzudenken, aber Schubart ließ keine Antwort zu: Hat Er Voltaire gelesen? Noi, g’wiß net. So oiner wie der wird auf Eurer Schul net g’führt.
    Er wollte deklamieren, doch schon der erste Satz geriet in Unordnung, er brach ab. Das ist der Kopf, den hat unser gnädiger Herr kaputt gemacht.
    Hölderlin wollte ihn trösten, auf ihn einreden, ihm erklären, daß sie ihm nachzueifern trachteten, daß er ein anfeuerndes Beispiel sei, Schiller und er, und als sei das Verschwiegene in die Unterhaltung eingegangen, sagte Schubart sehr zärtlich: Ach, der Schiller, der ist für mich alles, der hat’s weit gebracht. Liest Er wenigstens den?
    Beide nickten eifrig.
    I will Euch net examiniere. Des liegt mer net.
    Wieder bekümmerte sie sein Schweigen. Er trank hastig. Hölderlin schenkte ihm nach.
    Ja, des Saufe…
    Es sei ausgezeichneter Wein.
    Der isch von Uhlbach, ja, ja. Was machet Eure Eltern, Herr Hölderlin?
    Sein erster Vater sei gestorben, sein zweiter auch, der sei Bürgermeister von Nürtingen gewesen. Jetzt sorge seine liebe Mutter für ihn.
    Man muß nämlich wissen, sagte Schubart, daß man fürs Poetendasein Geld braucht, und das schon in Mengen.
    Schubart erhob sich, hatte keine Lust, länger mit ihnen zusammenzusein. Man merkte ihm, obwohl es noch vor dem Mittag war, Müdigkeit an. Seit zwei Jahren war er frei; noch zwei Jahre hatte er zu leben.
    ’s isch gut, sagt er, wenn oiner schreibt. Aber jeder Firlefanz wird g’merkt, glaubet mers. Er winkt sie vor sich her, zur Tür hin. Es hat mi g’freut.
    Sie verbeugten sich vor ihm.
    Ade! Send wach, Bube.
    Im Hauseingang stießen sie mit einem jungen Mann zusammen, der Neuffer zuwinkte und hineinging. Es schien einer der Vertrauten Schubarts zu sein.
    Ob er ihn erkannt habe, fragte Neuffer.
    Nein.
    Das sei Stäudlin gewesen.
    Stäudlin!
    Dieses Gesicht mit der hohen »wehenden« Stirn wird er nicht vergessen, die ganze Erscheinung nicht. Den würde er lieben können, wie einen Bruder.
    Schubart sah er nicht mehr. Was er der Mutter von der Begegnung berichtete, »o es wär eine Freude, so eines Mannes Freund zu sein«, ist schon wieder stilisiert; der unter die Unsterblichen geratene Sohn trumpfte auf:
    Du siehst, ich werde als Dichter akzeptiert, als Gleichgesinnter verstanden.
    Er ist doch groß, sagte er zu Neuffer, auch wenn sie ihm alles genommen haben.
    Den Abend bei Neuffer und dessen Mutter hat er Johanna nicht geschildert. Ich erfinde ihn. Ich weiß, daß er öfter bei der Mutter Neuffers zu Besuch war, sie verehrte. Es heißt, daß er, nachdem ihn Schubart empfangen hatte, gleich nach Tübingen aufgebrochen sei, ohne Aufenthalt bei Neuffer.
    Ich lasse ihn in Stuttgart bleiben.
    Neuffer hatte ihn eingeladen, bei sich zu übernachten. Den Tag über würden sie wohl unterwegs sein, er solle nur mit leichtestem Gepäck kommen. Als er am späten Vormittag das Neuffersche Haus erreichte, erwartete der Freund ihn bereits, so eifrig wie stets, schwätzend, und er wurde Neuffers Mutter nur kurz vorgestellt. Sie würden sich ja am Abend sehen, es seien noch einige Freunde des Hauses geladen. Neuffer packte ihn am Arm, zog ihn fort.
    Den Vater Neuffers, Sekretär am Consistorium und von beträchtlichem Einfluß, bekam er noch nicht zu sehen.
    Von seiner Mutter

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