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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Freunde
    Ich weiß, was in diesem Jahr, 1790, auf ihn wartet. Er weiß es nicht. Ich bemühe mich zu erinnern wie er, ihn Schritt für Schritt zu begleiten, aber mein Gedächtnis, das seinessein will, reicht eben nach vorn, bis zu seinem Ende. Das läßt ihn zur Kunstfigur werden. Wie oft schreibe ich »später«, verweise auf seine Zukunft, die für mich geschriebene Vergangenheit ist. Wenn er »später« sagte, zielte er ins Ungewisse. Kierkegaards Erläuterung der Wiederholung umfaßt diese Spannung zwischen den beiden Erinnerungen am ehesten, der des Erzählenden und der des Erzählten: »Wiederholung und Erinnerung sind dieselbe Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung. Denn was da erinnert wird, ist gewesen, wird nach rückwärts wiederholt, wo hingegen die eigentliche Wiederholung nach vorwärts erinnert wird.«
    Neuffer ist fürs erste der gute, belebende Geist. Er sorgt mit Magenaus Unterstützung für die Einhaltung der Bundesrituale, denn Hölderlin schickt sich nicht immer in die ihm aufgegebenen Pflichten, ist mitunter wehleidig und verstimmt. Die »Capricen« des Freundes machen den beiden anderen anscheinend häufig zu schaffen; läßt er sich freilich auf das Spiel ein, so ist es sein Feuer, das die Freunde zum Schwärmen bringt.
    An jedem Wochenbeginn wurde einer der drei zum Aldermann gewählt, dem es aufgetragen war, ein Thema für eine »ästhetische Abhandlung« zu finden, über das jeder, auch der Auftraggeber, arbeiten mußte. Donnerstags traf man sich dann, die Arbeiten wurden besprochen, korrigiert, Gedichte vorgetragen. Alles, was sie geschrieben hatten, bewahrten sie auf. Es war Material für die Geschichte ihrer Freundschaft, die ihnen unvergänglich erschien. Viele Male versicherten sie einander Treue auf Dauer.
    Meistens trafen sie sich außerhalb des Stiftes, vor dem Gespött neidischer Studenten sicher, auf dem Österbergoder im Wankheimer Tälchen, oder sie kehrten ein zu Wein und Most.
    Im »Lamm« waren sie Stammgäste.
    Er hatte, als Aldermann, aufgefordert, über die »Würde« als nächstes Thema nachzudenken.
    Wenn er an die Menschenrechte denke – aber die Würde, sagt Neuffer, dürfe niemandem, auch dem Herrscher nicht, abgesprochen werden.
    Der freilich über Würde und Unwürde gebietet, wie es ihm eben einfällt.
    Du bist ein Enragé, Hölder.
    Meinst du nicht, Neuffer, daß man erst einmal über die Würde derer nachdenkt, die auf oberstes Geheiß keine haben dürfen?
    Magenau hält sich zurück. Einmal sagt er: Jedes Menschen Würde werde im Laufe des Lebens verletzt, oft ohne Wissen dessen, der so schlecht handle.
    Aber Würde ist doch mehr!
    Wie meinst du das?
    Es ist eben aus dem Ganzen zu denken, verstehst du, sie ist nicht nur ein Ideal, eine Auszeichnung. Sie kann auch etwas sein, das den Menschen gleich sein läßt, und das ihm verbürgt ist durch Recht und Gesetz.
    So wie in Talleyrands Menschenrechten?
    Nicht Talleyrand – in den Menschenrechten der Revolution.
    Du bist unverbesserlich, Hölder.
    Ich bin’s nicht. Wir wissen’s doch. Wir haben es doch schon einmal erfahren. Bei den Griechen. Da war die Würde eine selbstverständliche Antwort des Menschen auf die Götter – oder nicht?
    Den ersten Aldermannstag, das Fest ihres Bundes, feierten sie am 9. März 1790. Zweimal begehen sie es noch danach. Sie weihten das Bundesbuch ein, in das jeder ein Gedicht »seiner Muße« schreiben mußte, Hölderlin das Lied der Freundschaft, das er, ehe die anderen es lasen, voller Leidenschaft rezitierte, als einen Aufruf zur Gemeinsamkeit: »Frei, wie Götter an dem Mahle, / Singen wir um die Pokale, / Wo der edle Trank erglüht, / Voll von Schauern, ernst und stille, / In des Dunkels heilger Hülle / Singen wir der Freundschaft Lied.« Das hört sich nach Männerbund an, romantischem Gelage, Liedertafel – und von alledem ist die Phantasie der Freunde auch angeregt, nur hat der hochfliegende Sinn Hölderlins, seine Sehnsucht nach der idealen Existenz, diesen engen, freundlichen Zirkel immer wieder durchbrochen.
    Es war im Sommer desselben Jahres. Magenau hat den Nachmittag geschildert. Er sagt, es sei ein überaus heiterer Tag gewesen. Sie hatten sich im Garten des Lammwirts verabredet, droben am Osterberg. In dem Pavillon, dem »niedlichen Gartenhäußgen«, war alles bereits vorbereitet, Wein und Brot, und gegen Abend sollte ein Punsch aufgetragen werden. Sie alberten, ihr Gelächter klang bis ins Tal, in die Stadt. Man wußte, oben im Wirtsgarten feiern die

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