Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
Vom Netzwerk:
Fassade eines Hauses im Hintergrund, der Schatten von hohen Bäumen.
    Warum soll das bei den Stäudlins anders gewesen sein? Und warum sollte Hölderlin sich in solcher Gesellschaft nicht wohlgefühlt haben?
    Man kann nicht nur über Poesie und Politik reden. Also bekommen die Mädchen Komplimente zu hören, also lästert man über gemeinsame und weniger liebenswürdigeBekannte. Also flüstert man über diesen oder jenen kleinen Skandal, daß sich die Mademoiselle Autenrieth mit dem badischen Offizier eingelassen habe, nachdem sie doch bereits dem Professor Weißlieb versprochen sei … Wenn sie aber den einen wirklich liebe, den anderen nicht …? Also hänselt man sich gegenseitig wegen gewisser Liebeleien. Also tauscht man Neuigkeiten über Mode aus.
    Wissen Sie denn, was man derzeit in Paris trägt?
    Ich habe Abbildungen gesehen.
    Ach, diese griechischen Kleider.
    Ja, die, Herr Hölderlin.
    Sind die nicht zu offenherzig, zu frei?
    Mir gefallen sie, sagt Hölderlin, sie scheinen mir eine weibliche Bekundung der Freiheit zu sein.
    Da kommt ihm gleich die Freiheit in den Sinn, sagt Stäudlin.
    Warum nicht auch da?
    Sie haben ja recht.
    Aber zeigen müsse man sich in solchen Gewändern schon können. Einen Buckel, einen Bauch dürfe man nicht haben, sagt Nanette.
    Unwillig bricht Stäudlin die Unterhaltung ab.
    Ihr könnt euch ja zeigen, wie ihr wollt. Doch jetzt laßt uns ernsthaft werden und geht. Du kannst bleiben, wenn du magst, Lotte.
    Sie sitzen zu dritt um den zierlichen runden Tisch. Diesmal ist Neuffer nicht dabei. Hölderlin genießt die jäh eingebrochene Ruhe, die sich wieder steigernde Spannung. Stäudlins blasses, von Eifer geprägtes Gesicht, daneben der hübsche, aufmerksame Kopf Lottes.
    Stäudlin erzählt von Schubart, daß dessen Zustand sichverschlechtere, ein mühseliges Ende zu erwarten sei. Er werde nach dem Tode Schubarts, den keiner seiner Freunde wünsche, die »Chronik« fortsetzen, und, das können Sie von mir erwarten, mein Freund, heftiger und schärfer, als man es dem großen Alten noch zumuten kann. Ja, das fürchten sie alle, nur mein Schubart nicht, der nicht.
    Langweilen wir dich nicht, Lotte? fragt er, doch die Schwester schüttelt den auf die Hände gestützten Kopf.
    Ich plane, fährt Stäudlin fort, auf das Jahr 92 einen Almanach, habe bereits einige ausgezeichnete Beiträge von Conz, Neuffer, anderen. Möglicherweise wird sich auch Schiller wieder beteiligen. Haben Sie mir denn neue Gedichte mitgebracht?
    Hölderlin zieht aus der Weste einige Blätter, will sie Stäudlin geben, der bittet ihn, sie vorzulesen, damit auch Lotte etwas davon habe.
    Neuffer hat mir von einer »Hymne an die Unsterblichkeit« vorgeschwärmt, sagt Stäudlin.
    Ja, die möchte ich auch lesen.
    Er las sie, seiner sicher, denn wüßte er ein Thema, das ganz seines ist, dann dieses:
    »Heil uns, Heil uns, wenn die freie Seele,
    Traulich an die Führerin geschmiegt,
    Treu dem hohen göttlichen Befehle,
    Jede niedre Leidenschaft besiegt!
    Wenn mit tiefem Ernst der Denker spähet
    Und durch dich sein Wesen erst begreift,
    Weil ihm Lebenslust vom Lande wehet,
    Wo das Samenkorn zur Ernte reift! …
    Wenn die Starken den Despoten wecken,
    Ihn zu mahnen an das Menschenrecht,
    Aus der Lüste Taumel ihn zu schrecken,
    Mut zu predigen dem faulen Knecht!
    Wenn in todesvollen Schlachtgewittern,
    Wo der Freiheit Heldenfahne weht,
    Mutig, bis die müden Arme splittern,
    Ruhmumstrahlter Sparter Phalanx steht!«
    Stäudlin fällt ihm, kaum ist die letzte Zeile gesprochen, fast ins Wort: Des isch guet, Sie! Ihn zu mahnen an das Menschenrecht …! Und au des: Jede niedre Leidenschaft besiegt. Was hat Rousseau gesagt? Ohne Tugend kann die Republik nicht sein. Die Einfachheit der Sitte. Kein Luxus und keine Lüsternheit. Und dann, das kann ich auswendig: »Schließlich will ich noch bemerken, daß keine Regierung in so hohem Grade Bürgerkriegen und inneren Erschütterungen ausgesetzt ist als die Demokratische oder Volksregierung, weil keine andere so heftig und so unaufhörlich nach Veränderung der Form strebt und keine mehr Wachsamkeit und Mut zur Erhaltung ihrer bestehenden Form verlangt. Namentlich in dieser Verfassung muß auch der Staatsbürger mit Kraft und Ausdauer sich waffnen und jeden Tag seines Lebens im Grund seiner Seele nachsprechen, was ein edler Woiwode auf dem Polnischen Reichstage sagte: Malo periculosam vitam quam quietum servicium.«
    Weißt du, was das heißt, Lotte?
    Nein.
    Ich ziehe eine gefahrvolle

Weitere Kostenlose Bücher