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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Freiheit einer ruhigen Knechtschaft vor.
    Das ist, sagte Hölderlin fast träumerisch, ein wahres Wort, und es trifft mich im Herzen, doch ich fürchte, daß eskein Antrieb sein kann für die meisten, die ängstlich die ruhige Knechtschaft vorziehen. Vielleicht ist die Freiheit schwerer zu ertragen, als wir es wissen.
    Damit regte er Stäudlin auf: Das ist der reine Defätismus, Hölderlin, wer das annimmt und sich daran hält, der wird das Volk nie bewegen können.
    Schon. Aber ob es sich je ganz bewegen lassen wird?
    Sie werden sehen! rief Stäudlin. Lotte sah ihm lachend ins Gesicht, unterbrach ihn: Wir sind bloß zwei, Friedrich, wegen uns mußt du nicht brüllen, wir sind keine Volksmenge, weißt du …
    Du machst dich bloß lustig.
    Überhaupt nicht.
    Gut, sagte er, nun zurückhaltender, gut, mein lieber Freund, lassen Sie uns die kommenden Ereignisse in Paris abwarten, in Frankreich. Sie werden uns alle umwühlen. Mir ist auch ein wenig Angst, sagte Hölderlin.
    Denken Sie, wenn sich hier die Stände vereinigen und den Fürsten entmachten – nur dies, dann rühren sich von allein die Kräfte.
    Stäudlin spürte die Zurückhaltung Hölderlins, wechselte das Thema, fragte, ob er Conzens neue Gedichte kenne? Lotte bat kurz darauf, die Schwestern doch wieder zuzulassen, es sei ein Punsch angesetzt, und man solle solche Vergnügungen nicht durch übermäßige Nachdenklichkeit beschweren.
    Schlau bisch, sagte Stäudlin.
    Abends, bevor Hölderlin das Haus verließ, gab er Stäudlin noch die beiden anderen Gedichte, die er mitgebracht hatte, und einige Wochen später ließ ihn Stäudlin durch Neuffer wissen, er habe sich nicht entschließen können, die »Hymne an die Unsterblichkeit« in den Almanachaufzunehmen, sich vielmehr für »Meine Genesung« entschieden, für die Hymnen an die Muse, die Freiheit und die Göttin der Harmonie. Was Hölderlin verwunderte. Aber er ließ Stäudlin ohne Widerspruch die Wahl, schließlich wußte Stäudlin Bescheid, war er ihm an Kenntnis und Weltläufigkeit überlegen, und er hoffte, ihn noch mit einem Roman zu überraschen, den er zu schreiben begonnen hatte, die Erzählungen der Griechin auf eigener Bühne ausspielend, den »Hyperion«.
    Jetzt wandert er, mitten im Oktober 1790, wieder nach Tübingen. Er ist ohne Gepäck; das wird mit dem Wagen geschickt. Er hat sich von Mutter, von Rike herzlich verabschiedet, versprochen, oft zu schreiben, hat Karl versichert, er wolle sich, so gut es aus der Ferne gehe, um ihn und sein geistiges Wohl kümmern.
    Er geht durch die Tübinger Unterstadt, die Gassen sind auffallend leer. Die Bauern arbeiten in den Weinbergen. In dem sich anschließenden Judenviertel herrscht das übliche Leben. Hier unten sind die Studenten nicht geschätzt. Sie haben den Leuten allzu oft böse Streiche gespielt, deren Feste gestört, selbst Hochzeiten. Nur die Gastwirte profitieren von ihnen. Auf der ganzen Stadt aber lastet die Universität, auch ökonomisch, denn sie zieht den größten Teil der Steuern auf sich und ohnedies alle Zuwendungen des Hofes.
    Die Leute grüßten ihn nicht. Sie hätten ihn, wie der Provisor Majer, grüßen müssen. So bestimmte es der Brauch. Als Magister war er eine Amtsperson. Die stumme Abwehr störte ihn nicht. Er beeilte sich nur.
    Auf dem Stiftshof traf er sicher schon Bekannte, denn, so unfreundlich das Wetter war, man nutzte die freie Zeitvor dem Studienbeginn, erzählte, was man in der Vakanz erlebt hatte, begrüßte sich, wie es unter jungen Männern üblich ist, oft ein wenig zu überschwenglich. Auch der eine oder andere Repetent ließ sich sehen, wurde sogleich ausgefragt, was es für Neuigkeiten gebe, wer auf welche Winterstube eingeteilt sei und mit welchen Professoren man zu rechnen habe.
    Von Conz erfährt er, daß er für den Winter auf die Augustinerstube im neuen Haus umquartiert worden sei, die einen guten Ofen habe und darum stets angenehm warm bleibe. Denn diese Häuser waren im Winter elend kalt, nur wenige Räume konnten beheizt werden, der Stein kühlte aus, wurde feucht, die Folge war dauernde Erkältung, Anfälligkeit auf den Lungen oder frühe Gicht.
    Von Conz könnte er auch gehört haben, daß Schelling, der Fünfzehnjährige, der Neunmalgescheite, nun auf dem Stift sei und außerdem noch zu seiner Stubengemeinschaft gehöre.
    Er verabredet sich mit Conz, man wolle das Wiedersehen feiern, mit den anderen Freunden auch, er geht nicht gleich zur Augustinerstube, sondern besucht Neuffer und Magenau.
    Sie

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