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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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reicht zum Denken nicht aus.
    Doch, Hegel.
    Nein. Das Denken hat seine eigene Bewegung, seine eigenen Gesetze, wie die Wirklichkeit auch. Und das müssen wir zusammenbringen. Im Denken.
    Das ist aber anders als bei Kant.
    Ja, sicher. Weißt du, erklärt Hegel, Hiob kommt nicht zum Denken, weil die Wirklichkeit ihn fortwährend überholt.
    So reden sie weiter.
    So lasse ich sie weiterreden.
    Sie kehren ein. Es ist das erste Mal, daß er mit Hegel allein beim Wein sitzt. Jetzt zöge er es vor, Neuffer dabei zu haben, der das Schweigen mit Scherzen durchbrechen, die Stimmung leichter machen könnte.
    Hegels Ausfall gegen die Metaphysik hat ihn verwirrt. Er fragt den neuen Freund, ob er das wunderbare Gedicht Klopstocks im »Museum« gelesen habe.
    Das über den Reichstag Galliens?
    Ja, das, worin es heißt, Gallien krönet sich mit einem Bürgerkranze, wie keiner war.
    Des isch scho guet, daß der alte Knoche sich so weit wagt. Des wird g’hört.
    Sie gehen zum Stift zurück. Im Hof, vor dem Haus des Ephorus, verabschiedet sich Hegel unvermittelt. Er habe was vergessen. Hölderlin fragt sich, ob er ihn durch eine Bemerkung verletzt habe. Er erinnert sich an eine wütende Bemerkung Magenaus, daß Hegel mit seiner Unhöflichkeit selbst unter Sauen auffiele. Solche Eigenheiten scherten ihn kaum. Hegels abfälliges Urteil über Conz geht ihm freilich weiter durch den Kopf. Er hätte ihm heftiger widersprechen sollen und er widerspricht ihm auch, jedoch verspätet und für sich, ständig neu ansetzend, den »Genius Griechenlands« beschwörend: »Im Angesichte der Götter / Beschloß dein Mund, / Auf Liebe dein Reich zu gründen. / Da staunten die Himmlischen alle.« Er wurde nicht fertig mit dem Gedicht und gab Hegel die Schuld: der rede ihm frostig in die Sätze.
    In Hegels Stammbuch schreibt er aus der Iphigenie den Satz: »Lust und Liebe sind Die Fittige zu großen Taten.« Hegel fügt das pantheistische Symbol für »Eins und All« hinzu.
    Magenau sah ihm manchmal beim Schreiben zu. Dessen Anwesenheit duldete er. Gell, du störsch mi net, Magenau.

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    IV
    Die Reise in die Schweiz
    Den Einfall, in den Osterferien in die Schweiz zu wandern, hatte Christian Friedrich Hiller, jener Maulbronner Gastschüler, der für Verbindungen nach Stuttgart hatte sorgen wollen, der Hölderlin mit seiner Betriebsamkeit gelegentlich befremdete – hier, in Tübingen, wo er als Externer Theologie hörte, also nicht zum engen Kreis zählte, hatte er den Vorzug, seine Stube anbieten zu können. Obendrein war er stets von einer Schar junger Leute umgeben, genoß die Kumpanei, war einer der ersten, derden Mömpelgardern, die Jakobinergesinnung unter die Studenten brachten, folgte. Das Wort Freiheit ging ihm leicht über die Lippen; in seinem Freiheitsdurst wollte er 1793 nach Amerika auswandern, ließ es jedoch bei der Ankündigung, wurde Lehrer, landete schließlich in Nürtingen, wo er seit 1808 an der Realschule, der ersten des Landes, tätig war.
    Er hatte Hölderlin nicht aus den Augen gelassen, sich ihm, kaum war er in Tübingen, angedient. Denn Hölderlin war für ihn in jeder Hinsicht ein »Besonderer«.
    Hiller hatte vor, Verwandte in Zürich zu besuchen, zusammen mit Friedrich August Memminger, einem Medizinstudenten, der mit Hiller in einem Hause wohnte. Hölderlin mußte gewonnen werden. Das war nicht schwierig. Als Reisegenossen konnte er sich die beiden gut denken, sie würden hilfsbereit sein, ihn aufzuheitern verstehen. Nach einigem Hin und Her, nachdem er sich mit den Aldermännern beraten hatte, sagte er zu. Ich mach mit. Ich werde mir Adressen besorgen.
    Er heuchelte Gelassenheit. Doch die Aussicht auf die Wanderung regte ihn auf. Das bekamen vor allem die Nürtinger, die Mutter, die Geschwister, die alten Lehrer, Köstlin und Klemm, zu spüren. Er plant, verwirft, will dies mitnehmen, jenes nicht. Daß Neuffer und Magenau verstimmt sind, sich aus seiner Aufregung zurückziehen, ärgert ihn. Um sie aufzuheitern, macht er sich über den Infantilismus von Hiller und Memminger lustig.
    Das alles reibt ihn auf.
    Der dumpfe Schmerz, der Druck hinter der Stirn nimmt wieder zu.
    Der Aufbruch wird auf den 14. April festgelegt.
    Im März war er in Nürtingen gewesen. Zur Fastnacht hatten sie frei. Er hatte sich, mehr noch als sonst, Heinrike zugewendet, auf deren Tüchtigkeit Verlaß war, wenn sie auch, gegen seinen Rat, die Hand von Clemens Chri stoph Camerer ausgeschlagen hatte, den er ihr zum Mann wünschte, einen Juristen

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