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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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asphaltiert. Die Gemeinden waren bei weitem kleiner, anders belebt. Es gab keine Flugzeuge am Himmel, keinen Schienenstrang zwischen den Orten. Alles war stiller. Sie hörten entfernte Menschenstimmen früher und genauer. Oder, wenn Fuhrwerke sich näherten, das Hämmern derHufe, das Poltern der Wagenräder. Ihr Ohr war daran gewöhnt wie das meine an den Autolärm. Auch ihre Landschaft war anders, die Straßen und Wege schmaler, die Wälder größer, das Unterholz dichter. Sie kürzten ab. Es gab markierte oder von Bekannten empfohlene Pfade. Manchmal verirrten sie sich. Doch sie waren geübt, sich zu orientieren. Bei Donaueschingen erreichten sie die herbe Landschaft der oberen Donau mit ihren Felsvorsprüngen, Winkeln, Klüften. Die junge Donau hat hier schon eine große Kraft. Es kann sein, sie halten öfter an, schauen, weisen sich gegenseitig auf die Schönheiten hin. Er wird sich daran erinnern, Jahre danach, an eine Rast über dem Tal, erschöpft vom Aufstieg, undeutliche Gedanken im Kopf, als schwimme er auf dem Fluß dahin, ließe sich von ihm tragen, weit, bis hin nach »Asien«.
    Am 17. April treffen sie Hiller im Haus seiner Freunde. Er führt sie, diese Attraktion dürfe nicht ausgelassen werden, zum Wasserfall bei Schaffhausen. Sie stehen lange, andächtig vorm »donnernden Rheinsturz«. Dann versuchen sie, sich unterfassend, gegen das Getöse anzusingen.
    Am selben Tag verabschieden sie sich von ihren Gastgebern, bekommen üppige Wegzehrung mit und wandern, jetzt zu dritt, bis Winterthur. Am Tag darauf bis Zürich.
    Sie waren hochgestimmt. Hiller, dem es schwerfiel, für eine Weile zu schweigen, faselte von der freiheitlichen Gesinnung der Schweizer, die sie seit Hunderten von Jahren gegen anrennende Despoten verteidigten, Demokraten aus dem Herzen, für die der Rütlischwur nicht nur eine schöne Geschichte sei.
    Schwätz net so viel.
    Als sie vor Schaffhausen von den Zollsoldaten abgefertigtworden waren, hatte Hölderlin zu Memminger gesagt: Jetzt können wir studieren, wie dem Menschen die Freiheit bekommt. Wie weit sind wir von alledem entfernt.
    In Zürich fanden sie, nahe der Limmat und dem Münster, einen ordentlichen Gasthof, erfrischten sich, aßen, machten sich unverzüglich auf den Weg zu Lavater. Lavater war zum Zeitpunkt ihres Besuchs fünfzig Jahre alt. Nicht nur der Ruhm des weisen und menschenkundigen Mannes zog sie an. Sie kannten seine Auseinandersetzung mit dem Zürcher Landvogt Grebel und waren ganz Lavaters Partei, wenn er mit der Ungerechtigkeit dieser tyrannischen Natur ins Gericht ging. Sicher, das war lang vorüber, hatte sich vor ihrer Geburt zugetragen, doch diese Legende gehörte zu ihrem Wissen.
    Schon Köstlin hatte sie ihm, zwar verkürzt und abgeschwächt, erzählt: Der große Lavater! Und ein gewaltiger Prediger dazu. Und vor allem der Autor der »Physiognomischen Fragmente«.
    Ihm war nun doch beklommen. Einem Mann von solchem Ruhm war er bisher noch nie gegenübergetreten. Dazu noch jemandem, von dem behauptet wurde, er könne jeden Menschen auf den ersten Blick beurteilen.
    Was sie nicht wußten, was ich mir nur mit Mühe vorstellen kann, daß er, wie Goethe, längst ein Schaustück war, ein Ausstellungsgegenstand im Museum seines Lebens, und daß der Besucherstrom nicht abriß. Sein Besucherbuch, in das sich jeder einzutragen hatte, hielt Namen für Namen fest.
    Er saß in seinem Arbeitszimmer, empfing, hatte Floskeln parat, die sich klug anhörten, für ihn aber längst abgenützt waren, und wurde nur dann aufmerksam, wenn ihm ein Gesicht auffiel.
    Sie wurden von einer Bedienerin zu Lavater geführt. Einzeln stellten sie sich vor, der unbefangenere Hiller zuerst. Lavater gab ihnen die Hand, leicht, ohne Druck. Er saß, klein und zierlich, in einem großen, ihn gewissermaßen erhöhenden Sessel, schwarz gekleidet, ein schwarzes Käppchen auf dem kaum gepuderten Haar. Sein Gesicht, gefältelt, glich dem eines alten Weibes, erschien ihnen hexenhaft.
    Keiner der Beteiligten hat ein Wort über das Gespräch notiert. Es hat auch wenig Verbindendes gegeben. Fragen zu stellen, haben sie kaum gewagt.
    Vielleicht verlief der Besuch so.
    Lavater bot den jungen Herren mit einer ein bißchen salbadernden Stimme Stühle an. Das Empfehlungsschreiben Köstlins war ihm bereits von der Bedienerin gegeben worden. Er hatte es nicht gelesen, nur hineingesehen, die Signatur zur Kenntnis genommen.
    Sie befänden sich alle drei auf dem Tübinger Stift. Er höre, daß die Zustände dort

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