Härtling, Peter
Geschenke häuften sich. Mutter und Großmutter waren kaum mehr in der Lage, den Ablauf des Festes vorzuschreiben.
Laßt das den Fritz machen.
Das kann ich nicht.
Am Ende nahm Breunlin, selbstbewußt, alles in die Hand. Karl, der sich von dem kräftigen, nicht uneitlen Mann angezogen fühlte, half ihm: Der Schwager! Als wäre der Verwandtschaftsgrad für ihn zum Titel geworden. Hölderlin mißfiel das, er versuchte einige Male, den Bruder aus dem Trubel zu ziehen, vergebens. Mit Breunlin wurde er nur zögernd warm. Immerhin war Breunlin achtzehn Jahre älter als er, ein »gestandener Mann«, und hielt sich auf seine Erfahrung, seine Menschenkenntnis viel zugute. Gesprächen mit ihm wich Hölderlin aus, und wenn, dann bezog er den vierjährigen Buben ein, den Breunlin ausseiner ersten Ehe hatte und der während der ganzen Feier unwissentlich die Hauptperson war: allzu ernst, gegen Tränen und Furcht ankämpfend und stets die Nähe des Onkel Fritz suchend. Mit dem Kind ging er häufig spazieren. Er erzählte Geschichten, freute sich über die Zärtlichkeit, zu der er fähig war und war ruhig, weil er von dem Buben keine Ansprüche fürchten mußte.
Als er, schon am ersten Tag, um den Schlüssel zum Grasgarten gebeten hatte, gestand ihm die Mutter, nach einigem Hin und Her, daß sie das Grundstück habe verkaufen müssen. Sie und Großmutter Heyn hätten sich nicht mehr um den Garten kümmern können, Hilfen hätten sie keine mehr, und das »Stückle« sei arg verwildert, vor allem die Bäume hätten längst schon geschnitten werden müssen.
Des versteh i net. Des isch schad.
Das trifft ihn: Den Grasgarten gibt es nicht mehr, das große Geschenk des »zweiten Vaters«, den Fluchtpunkt seiner Kindheit. Allmählich endet, verschwindet alles, was ihm über Jahre Sicherheit gewährt hatte. Das Haus würde die Mutter auch nicht lange halten können. Karl ist erwachsen, die Schwester zieht fort.
Aber i ben doch da, sagt Johanna.
Ja, Mamma, Sie sind da.
Heinrike trägt bereits das Hochzeitskleid, sie hat ihn zu sich gerufen, »weil wir ja dann nicht mehr für uns sein können«. Das Kleid verändert sie. Er hatte erwartet, sie würden sich, wenigstens für diesen Augenblick, gemeinsam erinnern, doch Heinrike, als wolle sie die Rolle der Hausfrau und Mutter proben, will mit ihm die Zukunft Johannas besprechen, ob man ihr die Verwaltung des elterlichen Vermögens zutrauen könne. Breunlin zweifle daran.
Ihre planende Kälte erschreckt ihn. Vielleicht ist es nur Besonnenheit, es ist möglich, so aber kennt er sie nicht. So will er sie auch nicht im Gedächtnis halten.
Die Mutter ist die ganze Zeit zurecht gekommen, warum mit einem Mal nicht?
Wir machen uns Sorgen um sie, sie wird älter.
Ich bin unbesorgt.
Sie hatte sichtlich nicht mit seiner Heftigkeit gerechnet. Es isch guet, Fritz.
Die Stadt steht Spalier zwischen dem Haus an der Neckarsteige und der Stadtkirche. Breunlin übertreibt seine Gravität, und die Braut wirkt sehr jung neben ihm. Hinter dem Paar geht Johanna, geführt von Karl. Ihnen folgt Hölderlin, der den kleinen Breunlin an der Hand hält.
Er hört, wie jemand hinter ihm sagt: Der Magister Hölderlin ist ein lieber Mensch.
Er sieht sich um, Köstlin lächelt ihm zu.
Wäre es nur so, dachte er. Sie rechnen nicht mit meiner Bitterkeit und diesem Frost, der mich manchmal steif macht. Jetzt friere ich wieder.
Klemm hatte ihn gefragt, ob er nicht ein paar Worte von der Kanzel sprechen wolle, nachdem er letzthin häufig in den Gemeinden rundum gepredigt habe, und wie man hörte, mit Erfolg. Er hatte es abgelehnt.
Das Bild überreichte er nach dem Essen. Heinrike war überrascht, freute sich, betrachtete es lange, meinte, es entspräche nicht ganz dem Vorbild.
Wer isch schöner? fragte er.
Schöner?
Alle lachten.
Bis Johanna entschieden sagte: Mein Fritz. Er nahm erst die Mutter, dann die Schwester in den Arm. Als er sichdann mit Kraz, Köstlin, Klemm und dem Schwager zurückzog, Köstlin einen Brief Lavaters vorlas und Breunlin über die Saububen in Blaubeuren lästerte, saß der kleine Breunlin wieder auf seinem Schoß.
Du hasch en Onkel g’funde, sagte Kraz.
Das Haus wurde leerer. Mir wird es zuviel, klagte die Mutter.
Sehen Sie sich doch nach einer vernünftigen Wohnung um, Mamma.
Er verabschiedete sich diesmal nur schwer. Wenn er zurückkehrte, würde womöglich alles verändert sein.
Über die Brücke ging er am Grasgarten vorbei, blieb stehen, sah einem ihm unbekannten Mann zu, der
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