Härtling, Peter
unterdrückend, befahl dem Kutscher, gleichwohl aufzubrechen, er komme sonst tief in die Nacht. Der fragte, ob es nicht besser sei, wenn er warte. Nein, nein, ich bin gemeldet. Fahr Er nur. Adieu.
Der Wagen verschwand in der Nacht. Nun war er allein. Doch schon kam der Diener wieder, nahm das Gepäck und sagte: Der Herr Major will den Doktor Hölderlin empfangen.
Er will es!
Er will den Hereingeschneiten, den Unangekündigten sprechen! Es ist klüger, ich amüsiere mich, sagt er so laut, daß es der Lakai hören muß.
So könnte einer seiner Zeitgenossen eine Komödie beginnen. Mir ist der Auftritt vorgeschrieben. Er hat so stattgefunden. Zwar ist in seinen Briefen von keinem Diener die Rede, überhaupt spielt er die Angst, die ihm dieser Empfang bereitet haben muß, herunter, doch es ist undenkbar, daß ihm der Major selbst die Tür öffnete. Also laß ich den Lakaien kommen. Nicht meine Erfindung, sondern eine Figur derartiger Szenen.
Was folgte, war nicht minder seltsam und verwirrend. Ein unscheinbarer, wohl von Gicht gekrümmter Mann im Morgenrock empfing ihn in einem unordentlichen, aber hübschen Salon, den ein Kaminfeuer gut wärmte. In der Halle, wo der Diener die Reisekisten abgestellt hatte, war es eiskalt gewesen.
Die Vorstellung entwickelte sich zu einem hölzernen Tanzstück. Der Major umkreiste ihn lauernd, seinen Namen murmelnd, Majorvonkalb, er wiederum wiederholte die Bewegungen des konsternierten Hausherrn, sagte seine Formel auf: Ich bin der Doktor Hölderlin, Hölderlin, aus Tübingen. Ich weiß, antwortete ihm zustimmend der Major. Aus Tübingen, ich weiß. So, so. Ja, ja. Also nein. Also nein. Die Frau Majorin. Ja. Die Frau Majorin. Sie hat. Ja. Sie hat. Sie hat die Güte gehabt. Die Güte gehabt. Ich weiß, ich weiß – brach der Major seinen Rundlauf ab, ließ sich auf einen Fauteuil fallen, wies ihn an, sich zu setzen, schrie: Lisette, der Punsch. Mit zwei Gläsern!, worauf sich, ohne jede Pause, die Tür öffnete, die gerufene Lisette, den Punschtopf und zwei Gläser auf einem Tablett vor sich tragend, hereinkam. Erst vermutete der atemlos gewordene Gast Hexerei, nahm dann aber zu Recht an, daß die Bedienerin schon längere Zeit lauschend vor der Tür gestanden hatte, um in dieser an Ereignissen gewiß armen Gegend wenigstens diese Aufregung ausgiebig genießen zu können. Der Punsch dürfte deshalb auch nicht mehr ganz heiß sein. So ist es, stellte er mit dem ersten Schluck fest.
Der Major gestand: Ich habe alles vergessen, verehrter Herr Doktor, obwohl ich Ihretwegen mit meiner Frau habe mehrere Briefe wechseln müssen, lehnte sich, bereits wieder beruhigt, zurück: Lassen Sie uns auf Ihre Ankunft einen Schluck trinken, erkundigte sich nach der Fahrt, wollte aber weiteres nicht hören, denn draußen kündigte sich lärmend neues Unheil an. Eine Männerstimme war laut, eine Frauenstimme mühte sich, sie zu dämpfen.
Warum läßt sie mich mit all dem Kram allein, sagte der Major, mehr zu sich und sah erwartungsvoll zur Tür, ein Offizier, der auf die Attacke des Gegners nicht ganz gefaßt ist. Den Rock zog er, als fröstele es ihn, um die Brust zusammen.
Die Tür wurde aufgerissen von einem dünnen, schon für die Nacht gekleideten Mann, dem solche Heftigkeit nicht zuzutrauen war. Seine Wut wurde gleichsam aufgesogen von dem sofort einsetzenden Gemurmel des Majors, dem der neue Hofmeister entnehmen konnte, daß es sich um den bisherigen Hofmeister, Herrn Münch handle, der wohl erst durch das Auftreten des Herrn Doktor Hölderlin erfahren haben muß, daß ihm seine Position aufgekündigt sei. Er gebe zu, ein peinliches Versehen, peinlich, sicher nicht gutzumachen durch eine gewisse Abfindung. Auf die wolle er hoffen, sagte, hellhörig geworden, Herr Münch. Dieser Ton mißfiel dem Major. Es liegt ganz in meinem Ermessen – worauf Herr Münch nicht hören wollte, er wandte sich Hölderlin zu, versicherte ihm, daß sein Zorn nicht ihm gelte, da er ja kaum habe ahnen können, daßsein Vorgänger nicht über den Wechsel unterrichtet sei, sondern den Zuständen im Hause. Jawohl, sagte er, jawohl und schaute herausfordernd zum Major, der sich schon wieder entspannt hatte. Hölderlin zog es vor zu schweigen. Herr Münch gefiel ihm nicht. So ausgehungert wie feinfühlig er auf den ersten Blick erschien und so berechtigt seine Aufregung war, wahrscheinlich war er als Erzieher nicht weniger jähzornig. Was sich später bestätigte: Herr Münch hatte seinen Zögling nicht selten
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