Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
erwachsener Bruder, ein Freund, der ihnen so nahestand, dass er ein Familienmitglied war.
Sie lag im Bett und las Edgar Allan Poes Novelle über die schwarze Katze, als sie den Schlüssel im Schloss hörte und kurz darauf Annikas Hallo!. Sie stolperte direkt in Emmas Zimmer, ohne Jacke und Schuhe auszuziehen.
Sie hatte eine Art, sie überschwänglich zu begrüßen, dass Emma ganz wohlig und verlegen zugleich wurde. Sie stellte zwei Pizzakartons auf den Boden und warf sich neben Emma auf das schmale Bett.
»Hallo, mein Schatz!«
Sie nahm Emmas Kopf zwischen die Hände und küsste sie auf die Stirn.
»Hallo, du Wahnsinnige!«
Sie lachten sich an, in Annikas Augen begann es zu blinken, aber gerade als Emma protestieren und sagen wollte, dass sie es nicht aushielt, wenn Annika heulte, verschwand das Blinken und Annika lachte breit.
»Hattest du einen schönen Tag?«
»Ja, ich habe herausgefunden, dass Nancy eine Barbiepuppe ist und die Fünf Freunde Essstörungen in Richtung Bulimie haben.«
»Ein Tag voller großartiger Erkenntnisse.«
Annika lächelte und rieb ihre Nase an Emmas.
»Ja, unbedingt. Weißt du eigentlich, wann Mattias aus Guatemala zurückkommt?«
»Was hat er gleich wieder geschrieben? Irgendwann Ende Dezember?«
»Er fehlt mir!«
»Mir auch! Sollen wir jetzt Pizza essen?«
Annika stand auf, ging in die Diele und zog die Schuhe aus, Emma trug die Pizzaschachteln in die Küche.
»Gibt es heute Abend was im Fernsehen?«, fragte Annika.
»Nein, nur Frecher Freitag , und ich sterbe, wenn ich das mit dir anschauen muss! Können wir nicht einen Film ausleihen?«
Annika lachte laut und machte eine Flasche Rotwein auf. Sie hatten den Fehler gemacht und die erste Folge von Frecher Freitag zusammen angeschaut, und beide hatten sich geniert wegen der nassforschen Ratschläge der Sexologin Malena Ivarsson und wegen ihres Studios, in dem zwei muskulöse Männer die Dekoration bildeten. Nach fünfzehn peinlichen Minuten hatte sie ausgemacht.
»Ja, genau! Aber ich muss zuerst was essen. Ich habe einen Bärenhunger.«
Annika hatte ein merkwürdiges Verhältnis zu Pizza, das Emma schon öfter fasziniert beobachtet hatte. Eine Gier, die sie sonst nur selten zeigte. Einen Hunger, als ginge es um Leben und Tod. Gebannt sah sie Annika zu, wie sie große Stücke von der Pizza abriss und in den Mund stopfte.
»Mhmmm … Wunderbar!«
Emma verzog angewidert das Gesicht.
»Mit vollem Mund redet man nicht!«
»Verzeih, verzeih, ich kacke Brei!«
»Mein Gooott. Und du willst meine Mutter sein?«
»Offensichtlich!« Annika lachte laut und nahm einen großen Schluck Rotwein. »Prost. Auf den Freitag!«
In der Videothek schwankten sie zwischen Dirty Dancing und Tootsie mit Dustin Hoffman, einigten sich schließlich auf Tootsie . Emma hatte Dirty Dancing mindestens schon zwölf Mal gesehen.
»Ich glaube, ich bin aus Dirty Dancing herausgewachsen.«
Annika sah, dass sie es ernst meinte, und versuchte, über diese große Mitteilung nicht zu lächeln.
»Eigentlich steht nirgendwo geschrieben, dass man Edgar Allan Poe und Dirty Dancing nicht zusammen mögen darf.«
Sie schwiegen, als sie das dünne Wesen sahen, das vor ihrer Haustür wartete.
»Julia!«
Julia stand auf, ihr Gesicht war verheult. Annika lief zu ihr und nahm sie in die Arme.
»Ist etwas passiert?«
»Nein, zu Hause ist nur so schlechte Stimmung.« Sie schniefte, und Annika strich ihr über die Haare.
»Komm herein, wir haben gerade einen Film ausgeliehen. Du kannst doch bei uns bleiben?«
Emma nahm Julias Hand und ging mit ihr zum Sofa.
»Leg dich hin, ich hole dir eine Decke.«
»Ich rufe deine Eltern an und sage, dass du bei uns bist.«
Julia schaute Annika bittend an.
»Damit sie sich keine Sorgen machen. Ich werde sie überreden, dass du hier bleiben darfst, versprochen.«
Julia murmelte leise »Okay« vom Sofa, und Annika ging in die Küche, um Julias Eltern anzurufen.
Es dauerte sehr lange, und schließlich hielt Emma es nicht mehr aus:
»Annika! Wo bleibst du denn?«
Annika kam herein und lächelte steif.
»So. Es hat geklappt. Ich habe deiner Mutter versprochen, dich später nach Hause zu bringen.«
Julia schaute zu Boden, und Emma warf Annika einen skeptischen Blick zu.
»Es war ein merkwürdiges Gespräch. Deine Mama klang ziemlich aufgebracht, redete von irgendwelchen Bauarbeitern, die morgen früh kommen würden, um eine Sauna zu bauen. Ich habe nicht so ganz verstanden, was das mit dir zu tun hat. Aber du siehst ja,
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