Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
musste, aber dann sah sie sein Gesicht, und das Lachen wurde zu angeekelter Übelkeit.
Seine Augen waren aufgerissen, in der Hand hatte er seinen Rhabarberpenis. Aus dem halb offenen Mund kam ein gurgelndes Stöhnen des Erstaunens und der Erregung. Seine braunen Haare waren glatt gescheitelt, seine Nase war rot und voller großer schwarzer Poren. Eine kurze Sekunde standen sie schweigend da und schauten einander an, dann fand er die Fassung wieder und rieb immer heftiger mit der Hand auf und ab.
»Lauf!«
Julias Schrei schnitt durch die Stille, und Emma zuckte zusammen, ehe sie wie automatisch zu laufen begann. Sie rannten mit einer Geschwindigkeit über den Schotterweg, die sie selbst erstaunte. Nach ungefähr fünfzig Metern drehte Emma sich um und sah, dass der Mann noch an der gleichen Stelle stand und an seinem Rhabarberpenis zog. Julia blieb auch stehen, schweigend betrachteten sie die Gestalt. Sie hörten, wie er stöhnte und keuchte, bis er plötzlich ein gutturales Brüllen von sich gab und dann ganz still wurde. In aller Ruhe nahm er sein weißes Taschentuch, wischte den Rhabarber ab und steckte dann das Taschentuch in die Hosentasche. Er hob den Kopf und schaute sie an. Sein Blick voller Scham, Verachtung und Hass machte ihnen erheblich mehr Angst als das Gerubbel mit der Hand. Emma nahm Julias Hand. Langsam kam er auf sie zu, so kontrolliert, als sei er sicher, dass er sie packen könnte, wenn er nur wollte. Dieses Mal weckte Emma Julia aus der paralysierenden Angst. Schweigend liefen sie los und drehten sich nicht um, bis sie hinter der Kurve waren. Weit hinten sahen sie, wie der Mann auch lief, schwer und angestrengt. Er war so weit zurück, dass sie in den Weg zum Baum einbiegen konnten, ohne zu riskieren, dass er sie sah.
Oben in der grünen Höhle des Baums gingen die angestrengten in ruhige, tiefe Atemzüge über. Bald sahen sie den Mann auf dem Schotterweg, er blickte verwirrt um sich. Blinzelte in den Wald hinein, versuchte sie zu finden. Er wusste, dass sie sich hier irgendwo versteckten. Und dann hörte man die Stimme des Mannes in der Stille des Waldes. Am Anfang zischend, dann ging sie in hohes Schreien über.
»Kommt raus, ihr Fotzen! Habt ihr nicht gehört, was ich sage?«
Seine Drohungen, was er ihnen antun würde, vermischten sich mit bellenden Flüchen zu einem so rasenden Strom, dass sie lächeln mussten. Sie hörten, wie die Wörter zusammen mit dem Mann verschwanden, erleichtert atmeten sie auf.
Das Lachen blubberte hervor, sie konnten es nicht mehr zurückhalten, und Julia spürte, wie glücklich sie war. Das Flattern, das so oft in ihrer Brust wohnte, löste sich auf und verschwand im Lachen. Die Geräusche waren wieder da, Blätterrauschen und Vogelgezwitscher.
Vermutlich war es so: Wenn die Angst verschwand, kam das Glück.
Giselas Füße schmerzten. Es war fast halb sechs und sie hatte jetzt acht Stunden in ihren hochhackigen Pumps gestanden, abgesehen von einer halben Stunde Mittagspause und zwei zehnminütigen Kaffeepausen. Eva hatte Fieber, deshalb war sie eingesprungen, obwohl Freitag ihr freier Tag war. Die letzte halbe Stunde war immer am schlimmsten, aber an diesem Freitag war sie unerträglich. Es stach in den Füßen wie von Messern, und sie musste die Hände falten, um ein Wimmern zu unterdrücken. Die Parfümerie war leer, bis auf eine Kundin, die von Mona bedient wurde. Gisela ging nach hinten zur Toilette. Sie setzte sich auf den Deckel und zog die Pumps aus, sie konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken, als die Füße befreit wurden. Sie massierte sie vorsichtig, und der Schmerz ließ langsam nach. Eine enorme Müdigkeit überfiel sie, sie lehnte den Kopf an die Wand und schloss die Augen.
Ein hartes Klopfen an der Tür ließ Gisela zusammenzucken.
»Hallo, Gisela? Bist du da drin?«
Es war Monas Stimme. Mein Gott, wie lange hatte sie wohl da gesessen und war eingenickt?
»Ich komme gleich! Du kannst schon mal die Kasse zählen!«
»Das habe ich schon gemacht, wir machen jetzt zu.«
»Mein Gott, wie die Zeit vergeht.«
Gisela strich sich über die Haare und zog die bequemen Sandaletten an.
Dann schlossen sie die Tür zur Parfümerie Schmetterling und gingen zusammen über den Marktplatz. Mona wohnte in einer Wohnung im Norden der Stadt, und Gisela wollte zu Fuß nach Hause gehen.
Das Stadtzentrum war menschenleer. Sie kam am Zigarrengeschäft an der Ecke der Linnégatan vorbei, wo sie sich als Kind samstags immer Süßigkeiten kaufen durfte, und
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