Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
Verantwortung übernehmen und einen Ort finden, wo Julia wieder zu sich kommen kann.«
Emma setzte sich auf, im Kopf drehte sich alles. Sie hatte fast den ganzen Tag im Bett gelegen und es dauerte etwas, bis der Körper sich daran gewöhnte, aufrecht zu sein. Aber jetzt hatte sie genug vom Liegen, sie wurde rastlos. Auf wackeligen Beinen ging sie ins Badezimmer, setzte sich in die Badewanne und ließ sich vom warmen Duschwasser zum Leben erwecken.
Nach einer Weile steckte Annika den Kopf durch die Tür.
»Ich muss in die Stadt und einen Text in der Redaktion abgeben.«
Emma stellte die Dusche ab und stand auf. Annika reichte ihr ein geblümtes Handtuch.
»Darf ich mitkommen? Ich werde verrückt, wenn ich nicht rauskomme!«
Annika lächelte sie an und besprühte sich mit Parfüm.
»Klar, und auf dem Heimweg können wir einen Kaffee trinken gehen. Beeil dich mit dem Anziehen.«
Unter dem Neuschnee war Eis, hart und heimtückisch, sie rutschten ständig kichernd aus. Sie hielten sich krampfhaft an den Händen, was das schlechte Gleichgewicht fast noch verschlimmerte. Emma war ein paar Tage nicht vor der Tür gewesen, und sie war ganz verwirrt, als sie andere Menschen sah. Die Welt drehte sich offenbar weiter, als wäre nichts passiert, die Leute waren vielleicht ein bisschen müder und schwerer nach den Festgelagen der Weihnachtstage und den vielen Familienzusammenkünften. Annika hatte ihre schwarzen Anzugshosen, ein weißes T-Shirt und eine Weste an, ihre Männeruniform, die sie nur zu speziellen Gelegenheiten trug. Die Augen hatte sie mit schwarzem Kajal geschminkt, die Lippen waren blutrot. Als Emma sie von der Seite her anschaute, sah sie, dass Annika allmählich ihre stolze Körperhaltung wiederfand.
Der große Eingang zur Lokalzeitung war genauso übertrieben pompös wie das restliche Gebäude. Annika rutschte aus und konnte sich gerade noch am Geländer festhalten. Emma musste lachen und stolperte hinter ihr die Treppe hinauf. Sie lächelte die Frau an der Rezeption fröhlich an, die nickte gnädig und ließ sie eintreten. Emma hörte auf zu lachen, weil sie sich plötzlich wichtig vorkam. Das war genau wie mit Annikas Männeruniform, eine Verkleidung, die funktionierte. Wenn sie die anhatte, war sie stolz und klug. Genau wie die alten Marmorböden und die hohen Decken, die die Menschen ehrfürchtig machten. Es roch wie in einer alten Kirche, Stein und Staub und uraltes Holz.
Gunnar Alm saß hinter seinem Schreibtisch, er war in einen Text versunken. Der Tisch war voller Papierstapel und scheinbar ungeordneter Bücher. Seine graumelierten Haare waren ungekämmt, die Brille ungeputzt. Sie beobachteten ihn, ehe er ihre Gegenwart spürte und von seiner Lektüre hochsah. Sein Lächeln verwandelte sich rasch in eine besorgte Miene.
Annika lächelte, sie freute sich aufrichtig, ihn wiederzusehen. Ein Mensch, der außerhalb des ganzen Durcheinanders stand, das sie die letzten Wochen beschäftigt hatte.
»Hallo Gunnar! Frohes Neues! Ich habe den Text.«
Sie setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und reichte ihm die beiden getippten Seiten.
Gunnar Alm lächelte verkniffen, Annikas offenes Gesicht wurde plötzlich wachsam.
»Annika, ich hätte dich anrufen sollen, ich bin nicht dazu gekommen.«
Sie schaute ihn fragend an.
»Du musst verstehen, wir haben neue Anweisungen aufgrund von Sparmaßnahmen bekommen und dürfen leider keine Aufträge mehr an freie Mitarbeiter vergeben. Wir müssen unsere Kulturberichterstattung intern regeln. Leider können wir deinen Text nicht kaufen, auch in Zukunft nicht mehr. Tut mir leid, du weißt, dass ich sehr zufrieden mit dir war!«
Annika versuchte zu verstehen, was er gerade gesagt hatte. Einsparungen? Und das fällt ihm jetzt ein, nach den Weihnachtsfeiertagen? Das hätte er auch schon vor zwei Wochen wissen müssen, als sie miteinander sprachen und das Datum für die Abgabe festlegten. Irgendetwas an der Art, wie er sie nicht anzuschauen wagte, war ihr unangenehm. Sie sah, wie er nervös mit den Füßen auftrat, als könnte er sie nicht still halten. Ja, Gunnar Alm war verlegen. Er schämte sich.
Annika stand auf, ging zur Tür und schloss sie. Dann kehrte sie zu ihrem Stuhl zurück und setzte sich. Sie beugte sich vor und zwang ihn, sie anzuschauen.
»Gunnar, ich habe zu viel Respekt vor dir, um dir solche erniedrigenden Ausreden und Lügen durchgehen zu lassen. Was ist los?«
Zum ersten Mal schaute er sie direkt an, sein Blick war voller Trauer und noch
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