Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
mehr einem falschen Affengrinsen.
»Wir können dann trotzdem noch eine Pizza kaufen! Komm jetzt, Emma, meine Freundin!«
Sie öffnete die Tür zur »Perle«, und Emma überlegte schnell, was schlimmer wäre, dass Annika allein Wein trank oder dass Emma eventuell zusehen musste, dass sie zu viel trank. Sie kam zu dem Schluss, dass ihre Gegenwart vielleicht doch einen dämpfenden Effekt hatte, sie würde mehr trinken, wenn Emma nicht dabei wäre.
Annika begrüßte den Mann hinter dem Tresen, sein Gesicht hellte sich auf, er kannte sie offenbar. Sie waren nicht die einzigen Gäste, an einem Tisch weiter hinten im Lokal waren ein paar jüngere Männer und tranken Bier, an der Bar saßen ein Mann und eine Frau, die in ein vertrauliches Gespräch vertieft waren. Annika kletterte geübt auf einen der hohen Barhocker, Emma kletterte weniger geschickt auf den daneben.
»Ein Glas Rotwein und eine Limonade für meine Tochter.«
»Aha, das ist also deine Tochter?«
Annika antwortete für Emma.
»Japp. Höchstpersönlich. Emma, sag Micke guten Tag.«
Micke lächelte und gab ihr die Limo, er stellte ihnen auch eine Schale mit Erdnüssen hin. Er war hübsch, schwarze, kurz geschnittene Haare und schöne braune Augen. Emma grüßte widerwillig, sie bekam hier Einblick in einen Teil von Annikas Leben, von dem sie bisher nichts gewusst hatte, und sie war sich nicht sicher, ob sie es kennenlernen wollte. Sie wusste, dass Annika manchmal abends in die »Perle« ging, sie hatte schon oft mitbekommen, wenn sie mit Freunden darüber sprach. Aber das war etwas anderes, als hier zusammen mit ihr zu sitzen. Das war kein Ort, an den man seine Kinder mitnahm, es war auch kein Ort, an dem eine Mutter den Nachmittag mit ihrer Tochter verbrachte. Emma beobachtete Micke, der Annika ein Glas Rotwein einschenkte, hatte sein Blick etwas Mitleidiges? Was dachte er über sie? Er war erheblich jünger, vielleicht fünfundzwanzig. Konnte er auch sehen, dass sie gerade besiegt worden war?
Er drehte sich um und legte Musik auf, bald strömte die Stimme von Annie Lennox aus den Lausprechern, sie sang vom Morgen, das kommen würde. Emma trank ihre Limo in kleinen Schlucken, sie betrachtete die vielen Fotos und Bilder, die in einem einzigen Durcheinander an den Wänden hingen. Die »Perle« war eine Künstlerkneipe, und am hinteren Ende war eine kleine Bühne, auf der freitags und samstags lokale Bands vor einem lebhaften jüngeren Publikum auftraten. Emma wusste, dass sie die Kneipe nie mehr betreten würde. Sie hatte heiße Wangen, die Wut in ihr wuchs, kochte schon fast, als sie sah, dass Annika das erste Glas Rotwein schon fast ausgetrunken hatte und schnell ein weiteres und einen kleinen Whisky bestellte.
Sie trank den Whisky in einem Zug aus und dann gleich einen Schluck Wein.
Emma konzentrierte sich auf ihre Limo, betrachtete die Blasen, die sich nach oben kämpften. Sie wollte nicht sehen, was sie entdecken würde, wenn sie Annika anschaute. Die Bilder in ihrem Kopf drängten sich auf, die vielen langen Abende, die Annika mit Musik auf den Kopfhörern und einer oder zwei Flaschen Wein im Sessel zubrachte. Wie sie Emma kaum wahrnahm, wenn die auf dem Weg zur Toilette in der Tür stand und sie betrachtete. Bilder, die sie schnell in das Vergessen der Nacht schickte. Aber wenn sie jetzt Annika anschaute, kamen sie, eins nach dem anderen. Der Mann neben ihnen zündete sich eine Zigarette an. Vielleicht war es der Rauch, vielleicht waren es die Bilder, die ihre Augen tränen ließen. Sie sprang vom Barhocker und murmelte etwas von Toilette. Annika schien es kaum zu registrieren, sie saß an der Bar, trommelte mit den Fingern und sang das Eurythmics-Lied mit.
Die Wände der Toilette waren mit selbst gestalteten Plakaten tapeziert, von Bands, die in der »Perle« gespielt hatten.
Emma pinkelte, die Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie hatte einen heißen Kopf vor Scham und Verlegenheit.
»Verfluchte Scheiß-Annika!«
Sie fluchte, wusch sich dann das Gesicht mit kaltem Wasser, damit man nicht zu deutlich sah, dass sie geweint hatte. Sie schaute sich ihr Gesicht im Spiegel an, das rundliche rote Gesicht mit den wachsamen Augen, die zurückstarrten. Weg von hier, und wenn sie dafür eine Szene machen musste.
Annika hatte mittlerweile ausgetrunken und noch ein Glas bestellt, das auch schon wieder halb leer war.
»Mama, ich will, dass wir jetzt gehen!«
Vielleicht hörte Annika an Emmas Stimme, dass sie sich entschlossen hatte.
»Gleich,
Weitere Kostenlose Bücher