Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
etwas? Angst?
»Es sind die Einsparungen, alle haben strikte Anweisung bekommen …«
Er unterbrach sich mitten im Satz und schaute auf sein Papierchaos. Annika brachte ihre Befürchtung leise hervor.
»Ist es der Text? War er schlecht?«
Er schüttelte den Kopf.
»Deine Texte sind ausgezeichnet.«
»Ich würde ihn sonst umschreiben! Sag es mir, ich ändere gerne, wenn es nötig ist!«
Gunnar Alm schüttelte wieder den Kopf, und als er sie anschaute, waren seine Wangen glühend rot.
»Ich habe die ausdrückliche Anweisung von meinem Chef, dir keine Aufträge mehr zu geben.«
Eine kurze Sekunde lang wurde die Welt schwarz, und aus dem Schwarz trat ein Muster hervor.
»Was zum Teufel sagst du da?«
Gunnar Alm schaute sie aufrichtig betrübt an.
»Es hat mit diesem Fall zu tun, in den du offenbar verwickelt bist. Ich weiß nur, dass Steven Librinski etwas damit zu tun hat. Er kennt offensichtlich den Vater des Mädchens, sie sind beide im Rotary Club.«
»Ist das dein Ernst? Willst du damit sagen, dass dieser Männerclub eine solche Macht über euch hat? Das klingt wie in einem schlechten Krimi!«
»Annika, bitte, du musst verstehen, dass es gegen meinen Willen geschieht, aber du hast sie offenbar zu sehr gereizt. Diesen Kerlen tritt man nicht auf die Füße, sie sitzen überall an den Machtpositionen und haben einiges zu sagen.«
Annika stand auf und beugte sich über den Schreibtisch.
»Es geht um Vergewaltigung! Weißt du, dass dieser Saukerl seine Tochter so oft vergewaltigt hat, dass Narben zurückgeblieben sind?«
Eine Kälte glitt über Gunnar Alms Gesicht, etwas in ihm verschloss sich. Man hörte es der Stimme an, als er wieder das Wort ergriff. Die Verlegenheit und die Scham waren verschwunden, in die Tiefe gedrängt zusammen mit der schrecklichen Information.
»Wenn ich die Sache richtig verstanden habe, gibt es keinerlei Beweise, die für die Version des Mädchens sprechen. Die Anklage ist offenbar fallen gelassen worden.«
Annika ging zur Tür, drehte sich um und schaute ihm noch einmal in die Augen.
»Nein, du hast die Sache nicht richtig verstanden. Du hast es so falsch verstanden, wie man es nur falsch verstehen kann. Der Teufel soll dich dafür holen, Gunnar Alm!«
Sie ging rasch hinaus, Emma hatte Mühe, mitzukommen. Erst als sie bei der Treppe waren, wankte Annika. Sie klammerte sich am Handlauf fest und schaute auf ihre Füße. Reste von Fossilien leuchteten weiß in den marmornen Treppenstufen. Annika starrte auf die Fossilien und kämpfte gegen die Übelkeit an.
Vor dem schlossartigen Gebäude räusperte sie sich und spuckte aus, fluchte ausgiebig und trat in den Schnee. Emma stand neben ihr und hoffte, dass niemand sie sah. Aber sie blieben allein, und nach einer Weile schwieg Annika. Sie wollte Emma nicht anschauen, drehte ihr den Rücken zu und ging in Richtung Hauptstraße. Emma war erleichtert, dass es schon dunkel wurde.
»Mama, warte!«
Annika drehte sich um und schaute sie leer an.
Sie gingen schweigend weiter. Als sie an der »Perle« vorbeikamen und Annika sah, dass geöffnet war, wurden ihre Schritte plötzlich leichter. War sie die ganze Zeit auf dem Weg hierher gewesen?
Sie sah Emma zum ersten Mal richtig an.
»Komm kurz mit rein, ich brauch ein Glas.«
Emma hatte ihre Zweifel, dass es bei einem Glas bleiben würde. Wahrscheinlich würden es viele werden, und Emma hatte wahrlich keine Lust, Annika beim Sich-Betrinken Gesellschaft zu leisten.
»Nein, Mama, bitte nicht!«
Sie sagte Mama und nicht Annika, denn sie war plötzlich ein kleines Mädchen, das eine Mama brauchte, eine Mama, die verantwortlich und vernünftig war und nicht betrunken, unglücklich und verletzt.
»Ich will wirklich nicht! Können wir nicht heimgehen und eine Pizza kaufen? Bitte?«
»Jetzt komm schon, Emma, ich habe gerade meinen Schreibjob verloren. Verstehst du nicht, dass es mir beschissen geht? Ich brauch das jetzt. Kannst du nicht wenigstens kurz mitkommen?«
Emma spürte die Tränen hinter den Lidern brennen. Annika sah so hilflos aus, wie sie dastand und ihre dreizehn-jährige Tochter anbettelte, Wein trinken zu dürfen. Sie sah auch noch etwas anderes in ihrem Blick, eine Härte, die es zuvor nicht gegeben hatte. Blaugrauer Stahl verdeckte das Glitzern.
»Aber ich will nicht.«
Sie sagte es leise, fast flüsternd, hatte Angst, dass die Stimme ihr nicht gehorchen würde. Aber Annika hatte sich offenbar schon entschieden, sie lächelte sie jetzt an, aber das Lächeln glich
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