Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
Augenbraue als stummen Gruß, dann drückte sie umständlich ihre Zigarette aus. Annika schaute sie erstaunt an, Laila gehörte eigentlich nicht zu den Schweigsamen. Sie schaute zu Gunilla hinüber, die starrte aus dem Fenster, während Ulla sich in das schwarze Gebräu in ihrer Kaffeetasse vertiefte.
Sie hängte ihre Jacke auf und wollte gerade fragen, was denn los sei, als Anita, die Chefin, den Raum betrat.
»Schön, dass du da bist, Annika. Würdest du bitte in mein Büro kommen, wir haben einiges zu besprechen.«
Sie starrte Anitas ernstes Gesicht an, und dann ihre Kolleginnen, die ihrem Blick auswichen. Mit einer unangenehmen Vorahnung folgte sie Anita in ihr Zimmer, wo sie schon oft zusammen gesessen und Stundenzettel und Urlaubspläne ausgefüllt hatten. Sie mochte Anita, sie hatte alles im Griff und hielt Abstand. Eine Chefin, vor der man Respekt hatte, weil sie Kompetenz und Autorität ausstrahlte, ohne deshalb allzu verliebt in die Macht zu sein. Anita war nur ein paar Jahre älter als Annika, sie war seit knapp vier Jahren ihre Chefin. Auf dem Schreibtisch stand die eingerahmte Fotografie ihrer beiden Söhne, an der Wand hing ein handgewebter Wandbehang, den sie von den Verwandten einer Bewohnerin bekommen hatte, als diese letztes Jahr gestorben war.
»Was ist denn passiert?«
Anita schaute sie mit verkniffener Miene und gerunzelter Stirn an.
»Ja, das wüsste ich gern von dir.«
Als Annika sie weiter fragend anschaute, fuhr sie fort.
»Ist es wahr, dass du den Schlafraum des Personals dafür verwendet hast, Kunden zu empfangen?«
Annika blieb der Mund offen stehen, sogar ein kleines Lachen entschlüpfte ihr.
»Nein, du liebe Zeit, das ist ja wohl das Dümmste, was ich je gehört habe! Wer hat das denn gesagt?«
Anita schaute sie immer noch ernst an.
»Das spielt keine Rolle, wer das gesagt hat. Es ist uns zugetragen worden, dass manche deiner, sollen wir sagen männlichen Bekannten, den Schlafraum zusammen mit dir genutzt haben. Stimmt das?«
Annika spürte, wie ihre Stimme versagte, sie war plötzlich undeutlich, und die Erklärung klang wie eine schlechte Ausrede.
»Es stimmt, ich war mit einem Mann, mit dem ich eine kurze Affäre hatte, dort. Ein oder zwei Mal. Es ist nichts vorgefallen, was jemandem hier hätte schaden können.«
»Aber Annika, meine Liebe, du musst doch verstehen, dass wir es nicht zulassen können, dass die Angestellten ihre Bekannten, oder wie immer du es nennen willst, hier im Seniorenzentrum empfangen!«
Anita starrte sie an, Annika senkte den Blick. Sie wusste, dass sie rot wurde, spürte, wie das Gesicht und der Hals heiß wurden.
»Nein, das war dumm von mir. Es kam mir damals nicht so schlimm vor.«
»Für uns ist das ein sehr ernster Vorgang. Unbefugte in die Räume des Personals zu lassen! Damit hast du wirklich die Sicherheit des Personals und der Bewohner aufs Spiel gesetzt!«
»Also, es geht nur um einen Mann. Einen. Ich weiß nicht, woher ihr diese lächerliche Geschichte habt, dass ich mich …«, sie räusperte sich, »dass ich Männer empfangen haben soll. Dass ich mich prostituiert hätte? Hier? Das ist doch wahnsinnig!«
»Es gibt verschiedene, voneinander unabhängige Zeugenaussagen, die bestätigen, dass du Kunden empfangen hast.«
Annika schluckte, ihr Mund war trocken, sie sehnte sich nach einem Schluck Wasser.
Anita beugte sich über den Schreibtisch, ihre Stimme war auf einmal betrübt.
»Du verstehst doch, dass ich das melden muss? Ich wollte warten, bis ich mit dir gesprochen habe, aber jetzt, wo ich selbst gehört habe, dass die Vorwürfe zu stimmen scheinen, muss ich Anzeige erstatten.«
Annikas Hals schnürte sich zu, sie schniefte, und die Tränen liefen.
Es spielte keine Rolle, was sie sagte oder tat, sie waren viele, und sie war allein.
»Du bist bis auf Weiteres von der Arbeit freigestellt. Wir werden sehen, was bei den Ermittlungen herauskommt.«
Annika stand auf und verließ das Zimmer, ohne sich umzudrehen. Laila, Gunilla und Ulla waren verschwunden, nur die ausgedrückten Zigaretten zeugten davon, dass sie vor einer Weile hier gesessen und auf das Drama gewartet hatten.
Wie kam sie nach Hause? Sie stolperte durch die Welt, undeutlich hinter den Tränen. Der Rotz lief, ihr Weinen war laut und klagend. Sie konnte sich nicht mehr beherrschen, sie hatte zu große Angst.
Emma wachte vom Geräusch des laufenden Wassers in der Badewanne auf. Sie schaute auf die Uhr, es war halb neun, sie überlegte, ob sie noch ein bisschen
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