Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
Kommode.
»Es sieht ein bisschen leer aus, aber wir wollen dir die Möglichkeit geben, eigene Bilder oder Plakate aufzuhängen, damit du dich zu Hause fühlst.«
Julia sagte immer noch nichts, sie stand nur mit hängenden Armen mitten im Zimmer.
Lena brach das Schweigen.
»Ich glaube, Julia hat ein wenig Hunger, wir haben noch nicht zu Mittag gegessen.« Sie schaute zu Julia hinüber, die den Blick nicht vom Boden nahm. »Ich habe einen Riesenhunger!«
Ihr Lachen war hell und ansteckend, Anders lachte mit.
»Das passt gut, unten gibt es noch Lasagne, ich kann euch beim Essen erzählen, wie hier alles so läuft.«
Sie verließen das Zimmer.
»Hier im ersten Stock sind die Zimmer, im Moment haben wir noch vier andere Jugendliche, in etwa einem Monat kommt wahrscheinlich noch ein Junge. Alle haben ein eigenes Zimmer, ganz hinten sind die Zimmer des Personals. Es schlafen immer zwei Betreuer hier. Hier sind die Duschen und Toiletten.«
Er öffnete die Tür und zeigte lächelnd in ein großes Badezimmer mit Duschkabine und Toilette. Die moosgrünen Kacheln an den Wänden stammten wohl aus den sechziger Jahren.
»Am anderen Ende des Flurs gibt es noch eine Dusche und Toilette. Im Keller haben wie eine Sauna und eine Badewanne. Wenn es im Winter kalt ist, dann ist die Sauna sehr angenehm.«
Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft schaute Julia ihm direkt in die Augen. Der Blick war schwarz, das Gesicht angespannt.
»Ich hasse Sauna!«
Dieses Mal hörte man sehr deutlich, was sie sagte. Anders und Lena schauten sie erstaunt an, Anders sagte dann ruhig:
»Ach so, ja, niemand zwingt dich, das Saunen ist natürlich freiwillig.«
In der Küche waren Lovisa und Maud damit beschäftigt, Geschirr und Töpfe wegzuräumen. Beide waren Anfang dreißig und arbeiteten seit fünf Jahren im Sonnenblumenhof. Anders hatte sie selbst eingestellt, obwohl sie keine formelle Ausbildung hatten, sein Instinkt hatte ihn richtig beraten, Lovisa und Maud machten ihre Arbeit gut und waren bei den meisten Jugendlichen beliebt.
»Hallo und willkommen! Ich heiße Lovisa und bin eine von denen, mit denen du hier im Haus auskommen musst!«
Sie lachte laut, kleine Lachfältchen zeigten sich um ihre Augen. Maud wandte sich mit ausgestreckter Hand an Julia.
»Und nicht nur du, wir anderen müssen auch mit ihr auskommen! Ich heiße Maud, willkommen!«
Julia reagierte gleichgültig auf die Begrüßung, sie verzog keine Miene und schaute die beiden auch nicht an.
Anders studierte Julia und wunderte sich schon ein wenig über den Mangel an Reaktion. Julia setzte sich mit abwesendem Blick an den Küchentisch. Sie war woanders, in einer eigenen Welt. Maud und Lovisa servierten Lasagne und plauderten mit Lena, das Gemurmel übertönte Julias Schweigen.
Anders wollte nicht zu voreilig ein Urteil fällen, allzu oft hatte der erste Eindruck getrogen. Und doch spürte er einen Schmerz in der rechten Schläfe, der ihm sagte, dass ihnen mit Julias Ankunft Ungewöhnliches bevorstand.
In der ersten Nacht wachte sie von einem Geräusch auf, das sie nicht deuten konnte. Ein rhythmisches Klopfen, als schlüge jemand mit einem Gegenstand gegen eine Wasserleitung. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie wusste, wo sie war, einen eiskalten Moment lang glaubte sie, im Mondland zu sein, aber dann sah sie die weiße Kommode und das Foto, das sie dort aufgestellt hatte. Das Foto hatte Annika letztes Jahr beim Schulabschluss von ihr und Emma gemacht. Sie standen vor ihrer Grundschule, Julia hatte eingeflochtene Zöpfe, Annika hatte darauf bestanden, sie zu frisieren, als sie Emma am Morgen abgeholt hatte.
Es war ein fröhlicher Schulabschluss gewesen, hinterher war Annika mit ihnen in die Konditorei Drei Kronen gegangen, und sie hatten bei Limonade und Sahnetörtchen gefeiert.
»Meine hübschen großen Mädchen!«
Julia stand auf, ging zur Kommode und schaute das Foto an.
»Emma.«
Die Stimme klang jämmerlich, es war still im Haus, und sie zuckte zusammen, als die Bodendielen vor ihrem Zimmer knarrten.
Sie blieb ganz still stehen und hielt die Luft an, versuchte das Geräusch zu identifizieren. Jemand schlich durch den Flur. Eine Stimme flüsterte, eine zweite antwortete. Es war also nicht das Personal, das eine Nachtrunde machte, sondern Jugendliche. Sie hatte sie beim Abendessen gesehen, drei Mädchen und ein Junge, die kein größeres Interesse an ihr gezeigt hatten. Gerade so höflich, dass es nicht auffiel und eine Zurechtweisung nach sich gezogen hätte.
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