Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
bereits eine funktionierende Familie zerstört. Widerliche Vorwürfe gegen Carl erhoben, Gisela und alle anderen angelogen! Hörst du? Was bist du nur für ein kranker Mensch? Bist du so verbittert und neidest uns anderen unsere Familien, dass du das Beste, was wir haben, zerstören musst? Was? Such dir ein anderes Hobby, du verdammte Hure!«
Sie schrie jetzt wie eine Wahnsinnige, voller Wut und Hass. Das machte Annika sprachlos. Sie wusste nicht, dass das Gerücht über das Geschehen sich schon verbreitet hatte, und noch weniger hatte sie eine Ahnung, dass sie als diejenige ausgeguckt worden war, die an allem schuld war.
»Einen Moment, mit dem, was Julia widerfahren ist, habe ich nichts zu tun. Ich habe sie nur bei mir aufgenommen, weil sie nicht mehr mit Carl zusammenwohnen wollten.«
Aber Ylva schien nicht zuzuhören, ihre Stimme war jetzt leise und drohend.
»Ich werde dafür sorgen, dass du ebenfalls die Pille schluckst! Ich werde dafür sorgen, dass deine zweitklassige, hochtrabende Als-ob-Familie genauso zerstört wird, wie du meine kaputt gemacht hast! Ich weiß nämlich einiges über dich. Ich weiß, dass du zu viel trinkst, und ich weiß, dass du fremde Männer mit nach Hause nimmst, und das Sozialamt wird dafür sorgen, dass deine Tochter nicht noch mehr Schaden nimmt, als sie es schon getan hat!«
Annikas Brust schnürte sich zusammen, sie bekam kaum noch Luft. Konnte nur noch keuchen. Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern, als sie antwortete.
»Was sagst du da?«
Aber Ylva Lundgård hatte schon aufgelegt.
Sie starrte in die Nacht, die Eisblumen am Fenster verrieten, wie kalt es draußen war, und plötzlich schauderte Annika. Sie zog den Morgenrock fester um sich. In ihr schrie die Leere, sie versuchte, sich auf die Gedanken zu konzentrieren, aber ihr Schädel war wie leer geblasen.
Muss Emma sehen.
Leise öffnete sie die Tür zu Emmas Zimmer. Sie schlief auf dem Bauch, so wie sie seit ihrer Geburt schlief, die Arme über dem Kopf und die Haare in einem feuchten Durcheinander um das Gesicht.
Annika setzte sich aufs Bett und strich ihr sanft über die Haare.
»Mein geliebtes Kind! In was für einer Scheiße sind wir bloß gelandet?«
Ihre Wangen wurden nass, und sie merkte, dass sie weinte. Ein stilles, resigniertes Weinen darüber, dass die Welt um sie herum zusammenzustürzen drohte.
Vorsichtig legte sie sich zusammengerollt neben Emma, und schließlich, nachdem sie ihrem Gefühl nach stundenlang ins Dunkel gestarrt hatte, schlief sie kurz ein, dann klingelte der Wecker. Der Schlafmangel verursachte ihr Übelkeit, sie taumelte, als sie aufstand. Emma schlief noch, und sie konnte auch noch weiterschlafen. Die Schule fing erst am Montag wieder an, und sie konnte Ruhe gebrauchen.
In der Dusche drehte sie das Wasser so heiß, dass die Haut rot wurde. Sie wusch sich die Haare, der Duft des Shampoos verbreitete sich im Badezimmer. Allmählich bekam sie einen klaren Kopf, und sie musste lächeln, als sie an Irma dachte, die bestimmt schon im Seniorenzentrum auf sie wartete.
Sie schrieb einen Zettel für Emma, dass sie um vier wieder zu Hause sein würde, und legte ihn auf den Küchentisch.
Es hatte keinen Sinn, das Fahrrad zu nehmen, unter der dünnen Schicht Pulverschnee lauerten glatte Eisplatten. Außerdem hatte es immer noch einen Platten, nachdem jemand vor einer Woche in den Reifen gestochen hatte. Sie hatte keine Lust gehabt, ihn zu reparieren, es war das dritte Mal in drei Wochen gewesen.
Wenn sie schnell ging, dauerte es höchstens eine halbe Stunde bis zum Seniorenzentrum Lunden, sie würde noch eine Tasse Kaffee trinken können, bevor sie wieder in den täglichen Stress einstieg; alte Menschen, die mit vollgepinkelten Windeln und verschwitzten Körpern auf sie warteten.
Beim Anblick des Seniorenzentrums musste sie lächeln. Sie schaute zu den Fenstern, überall waren die Rollos heruntergezogen. Dahinter waren Irma, Bengt, Sigfrid und die anderen. Sie ging eilig hinein und durch die Flure zum Personalraum. Es roch irgendwie anders, ein neuer Geruch, den sie nicht kannte.
Sie verscheuchte das Unbehagen, öffnete die Tür und sah ihre Kolleginnen Laila, Gunilla und Ulla auf dem Sofa, alle rauchten und hatten eine Kaffeetasse in der Hand, es war ein so vertrautes Bild, dass sie ein Welle von Glück durchfuhr. Noch nie hatte sie die Gegenwart ihrer Kolleginnen so sehr geschätzt wie heute. Sie lächelte sie an.
»Hallo! Was habt ihr mir gefehlt! Alles okay?«
Laila hob eine
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