Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
der Garderobe gleich neben der Tür hängt. Wenige Minuten später steuern beide auf die weithin sichtbare, orangegetönte Außenfassade zu. Über der Eingangstür steht mit einem rotgemalten Schriftzug das Wort ›Ganesh‹.
»Ganesh ist ein Elefantengott«, sagt Elisabeth Karl, als sie eintreten. Swensen amüsiert sich jedes Mal wieder über die Diskrepanz zwischen ihrer Reibeisenstimme und dem jugendlichen Aussehen.
»Der Gott des Wohlstands und der Weisheit«, ergänzt Swensen beiläufig. »Eine interessante Mischung. Die Inder wissen was zusammengehört, finden Sie nicht?«
»Klar! Leider nur keine Kombination für Kripobeamte, oder? Bei Ihnen fehlt es doch sicher auch am Wohlstand?”
Elisabeth Karl sieht ihn neckisch von der Seite an. Swensen grinst zurück und klopft in Portemonnaiehöhe auf seinen Mantel.
»Für eine Einladung reicht es schon noch. Suchen Sie sich alles aus, was Sie möchten!«
Der gutgelaunte Sikh mit dem blauen Turban, der Swensen schon bei seinem ersten Besuch bedient hatte, zeigt wieder seine unverschämt weißen Zähne. Swensen bestellt gleich zwei Portionen Samosas. Elisabeth Karl ordert Currylamm in Spinat.
»Sie wollen einen kleinen Gefallen von mir?«
»Stimmt«, sagt Swensen, indem er Elisabeth Karl direkt in die Augen blickt, »es kann aber auch ein etwas größerer sein, Frau Karl.«
Sie schlägt mehrmals auffällig mit ihren Augenlidern und schaut ihn mit einem magischen Blick aus ihren blauen Augen an.
Was machst du hier eigentlich, denkt Swensen. Dir bringt es wohl keinen Spaß allein zu essen, mein Lieber. So ist die Theorie vom Spiel des Lebens bestimmt nicht gemeint.
»Kennen Sie sich mit computersimulierten Alterungen einer Person aus, Frau Karl?«, versucht er der Situation eine sachlichere Richtung zu geben. Elisabeth Karl nimmt seine veränderte Haltung nicht zur Kenntnis, ob nun bewusst oder unbewusst.
»Wollen Sie jetzt schon wissen, wie Sie als weiser alter Mann aussehen, Herr Swensen?«
»Meinen Sie, dass Sie so was hinkriegen würden?«
»Na ja, das weise Potenzial ist meiner Meinung nach schon vorhanden!«
Bevor er antworteten kann, unterbricht der quirlige Sikh die Unterhaltung, indem er ihnen das Essen hinstellt. Mit Erleichterung registriert Swensen, dass das Spiel mit dem Feuer dadurch unterbrochen wurde.
Was hat mich da nur geritten, denkt er und beißt in die Teigtasche. Musst du dich jetzt schon an jungen Frauen aufbauen? Das ist mal wieder dein Komplex, besser erscheinen zu wollen, als unbedingt notwendig.
Ihm fällt Annas Vorwurf ein, er sei überheblich.
Sie hat mit dem Flirten angefangen, kontern seine Gedanken.
»Ich hab ein Foto von einer Person, das vor fast dreißig Jahren gemacht wurde. Mich interessiert, wie sie heute aussehen könnte«, unterbricht Swensen die entstandene Gesprächspause, noch bevor er sein Essen beendet hat.
»Das ist gar nicht so einfach«, steigt Elisabeth Karl auf seine Bitte ein. Der flirtende Unterton ist wie weggeblasen – oder war er überhaupt nicht dagewesen?
»Es genügt nicht, dem Porträt einer Person ein paar Runzeln und Falten hinzuzufügen«, fährt sie fort. »Um einem möglichen Alterungsprozess auf die Schliche zu kommen, muss man etwas über das Wesen und den Charakter der betreffenden Person wissen. Es ist notwendig, sich in ihn hineinzufühlen. Welche Ereignisse im Leben könnten welche Gesichtszüge verstärken, welche abschwächen? Wie gesagt, nicht einfach. Aber Sie engagieren schließlich eine Spezialistin.«
»Alles was ich über meinen Mann weiß ist, dass er ein genialer Geldfälscher war. Er wurde 1974 mit 26 Jahren gefasst und hat eine 12-jährige Haftstrafe abgesessen. Nach seiner Entlassung ist er untergetaucht. Das bedeutet, er lebt seit 14 Jahren mit einer falschen Identität, wahrscheinlich in ständiger Angst entdeckt zu werden. Können Sie da was mit anfangen?«
»Besser als gar nichts. Unmögliches erledige ich sofort, Wunder dauern etwas länger. Immerhin ist unser heutiges ›I.S.I.S. Phantom‹, das wir in den Landeskriminalämtern einsetzen, eine ziemlich raffinierte Computersoftware mit ausgefeilten Retuschier-, Kontrast- und Brushfunktionen. Es gibt Bilddatenbanken mit vorgefertigten Gesichtern aus allen ethnischen Gruppen, nach Segmenten für Augen, Nase, Mund, Ohren, Haare, Augenbrauen und Gesichtsformen getrennt. Dazu können alle Segmente vergrößert, verkleinert, verlängert und verkürzt oder dunkler und heller gemacht werden.«
»Ich wusste, dass ich
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