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Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Titel: Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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entfernt einen Vortrag. Gehen wir ’rüber und schnappen uns den Kerl!«
    »Willst du die Veranstaltung sprengen?«
    »Nein, wir setzen uns rein und warten in Ruhe, bis sie zu Ende ist. Dann verhaften wir ihn ohne viel Aufsehen.«
    »Hältst du das wirklich für eine gute Idee? Er könnte eine Waffe dabei haben und in Panik um sich ballern?«
    »Du liest zu viele Kriminalromane, meine Liebe. Der hat keine Ahnung, was wir wollen. Die Überraschung ist auf unserer Seite. Wir überrumpeln ihn, ehe er überhaupt nachdenken kann.«
    »Ich finde, wir sollten keinen Alleingang machen, Jan!«
    »Los, wir ziehen das Ding jetzt durch!«
    »Hast du da ein persönliches Ding mit dem Mann laufen?«
    »Quatsch!«, erwidert Swensen trotzig, obwohl er sofort weiß, dass Silvia nicht ganz unrecht hat.
    Da meldet sich die alte Rechnung mit Püchel, denkt er. Ich will mal wieder mit dem Kopf durch die Wand, beweisen, dass ich ein Mordskerl bin. Ich, Swensen, der Held, der Gerechtigkeit schafft, der die Gewalt in der Welt im Handumdrehen eindämmt. Doch hier geht es nicht um dich, Jan Swensen. Da draußen ist ein Täter, jemand der vielleicht mehrmals gemordet hat. Der hat nichts mit meinem Ego zu tun. Er hat für sich gemordet und nicht für mich. Meine Aufgabe ist nur ihn zu fangen, nicht mehr und nicht weniger. Das ist mein Karma. Ich sollte mir keinen Namen auf seine Kosten machen wollen.
    Silvia Haman sieht Swensen die ganze Zeit eindringlich an, sagt aber nichts. Das Schweigen breitet sich aus, rückt Swensen auf die Pelle.
    »Okay«, sagt er plötzlich, »bevor wir im Schloss die Veranstaltung besuchen, informieren wir Mielke, damit er uns zwei Streifenwagen zur Hilfe kommen lässt.«
     
    * * *
     
    Die Nachricht von Kommissar Swensen auf der Mail-Box seines Handys traf ihn völlig unerwartet. Er hatte sofort geahnt, dass es ein dummer Fehler gewesen war, den Mobilfunkvertrag unter seinem Namen abzuschließen. Andererseits, wer hatte damals schon im Voraus ahnen können, wie sich die Situation im Laufe der Zeit zuspitzen würde. Die dreimonatige Mindestlaufzeit, die ihn beim Abschluss genervt hatte, empfand er im Nachhinein sogar als Segen, denn wenn es keinen Anschluss mehr gegeben hätte, wären bestimmt Nachforschungen von der Polizei angestellt worden.
    Der eiskalte Rückruf mit verstellter Stimme war allerdings ein gekonnter Schachzug von mir, versucht er sich aufzubauen, als er durch eine Seitentür den Raum betritt, der von einem großen barocken Prachtkamin dominiert wird. Ein kurzer Beifall wallt auf und verebbt in vereinzeltem Gehuste. Er stoppt genau zwischen den Figuren des ›Perseus‹ und der ›Andromache‹, die sich neben der Feuerstelle des Kamins befinden und verbeugt sich leicht. Dann tritt er hinter das Rednerpult, rückt seine Zettel zu Recht, nimmt einen Schluck Wasser und beginnt: »Guten Abend meine Damen und Herren! Das Thema des heutigen Abends ist: Theodor Storm und die bürgerlich-patriarchale Ordnung.«
    Er hebt seinen Kopf, macht eine kalkulierte Pause und blickt demonstrativ in den Saal. Der ist voll, fast ausverkauft. Er lässt die erwartungsvollen Augen befriedigt auf sich einwirken. Manchmal kann er es gar nicht glauben, dass er es ist, der hier steht, dem man zuhört.
    Nichts kommt von nichts, denkt er. Swensens Anruf kommt ihm wieder in den Kopf und plötzlich verliert er sich in Bildern, die schon sehr lange zurückliegen. Die ersten Tage im Knast ziehen an seinem inneren Auge vorbei, wie Sturmwolken, die bei Vollmond über den Nachthimmel getrieben werden. Er sieht sich auf der unteren Bettkante eines Etagenbettes sitzen. Selbst den penetranten Linoleumgestank, das Zuschlagen der Eisentür, das Rasseln der Schlüssel kann er abrufen, als wenn es gestern gewesen wäre. Der erste Schock war, Jahre in einem Raum von höchstens acht Quadratmetern verbringen zu müssen. Von heute auf morgen führte er ein komplett anderes Leben. Dann hatte er den Katzenjammer erstaunlich schnell in den Griff bekommen. Er musste seinen Raum nur mit einer Person teilen, damit konnte nicht jeder rechnen. Aber schließlich war er nicht so ein hergelaufener Krimineller gewesen, wie die meisten, die völlig zu recht hier einsaßen. Die meisten Typen waren drogenabhängig und lungerten in der Freizeit und sogar in den Werkstätten nur rum. Ihre Hauptbeschäftigung: wie komm ich an Stoff oder Zigaretten.
    Er muss sich räuspern, will die unangenehmen Gedanken loswerden. Sie bleiben hartnäckig. Er versucht sie zu

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