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Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Titel: Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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richtig einzuschätzen und sofort wieder handlungsfähig zu sein, war sein Markenzeichen. Im Moment ist diese Fähigkeit allerdings wie weggeblasen. Er fühlt sich mies. Die Panik, die er nach dem ersten Mord gefühlt hatte, ist plötzlich wieder real. Sein ganzer Körper steht unter Strom. Er möchte sich schütteln, am liebsten laut schreien, gegen die Tür schlagen. Aber er weiß genau, dass er dann endgültig verloren ist. Jetzt heißt es Nerven bewahren. Die Sache war nun mal passiert. Er war schließlich unfreiwillig da hineingeraten. Schicksal, könnte man sagen.
    Ebenso wie Rauch und Staub vergehen, so vergehen auch die Menschenkinder, fällt ihm der Spruch aus Storms ›Aquis submersus‹ ein.
    Das ist genau der Blickwinkel, aus dem man auf die Welt schauen muss, denkt er. Nur von weit oben ist diese unwürdige Kreatur Mensch einigermaßen zu ertragen. Man kann nur auf sie herabblicken um ihre Erbärmlichkeit zu begreifen. Das galt auch für Kargel. Er stand meiner größeren Sache im Weg. Es gab keinen anderen Ausweg. Er konnte kein Risiko eingehen, musste voraus denken. Spuren verwischen, einen Einbruch vortäuschen, Peters die Kupferstiche unterjubeln … Sich nach so einer brenzligen Situation zusammenzureißen und dann das Blatt zum eigenen Nutzen zu wenden, das sollte ihm erstmal einer nachmachen.
    Er hatte das Manuskript mitgenommen und die Nolde-Seite während der Nacht ausgebessert. Nach dem Missgeschick mit Kargel war jetzt Rüdiger Poths Wohnung der einzige Ort, wo er das korrigierte Original noch hinbringen konnte. Außerdem konnte er davon ausgehen, dass Poth schon lange die Kopie des Romans mit diesem Flüchtigkeitsfehler in seinen Redaktions-Computer eingetippt hatte. So oder so, er war ein unkalkulierbarer Mitwisser. Er hätte seine Berichtigung bestimmt bemerkt. Ihn am Leben zu lassen, wäre ein zu großes Risiko gewesen. Dumm gelaufen, aber so war das nun mal. Kargel war schon tot. Die daraus folgende Logik war also unumstößlich, sozusagen bereits vorgegeben. Wer ›A‹ gesagt hat, muss auch ›B‹ sagen. Glücklicherweise war Poth wenigstens ahnungslos gewesen, hatte sich nur gewundert, dass er so früh am Morgen vor seiner Tür stand. Aber dann hatte er ihn völlig arglos reingebeten. Sobald Poth sich gesetzt hatte, zögerte er keinen Moment und schoss.
    Dass die Aktion in der Redaktion danach schief lief, war einfach Pech gewesen. Wer konnte auch ahnen, dass sich irgend so eine Zeitungstante da mitten in der Nacht rumtreiben würde. Immerhin war er cool geblieben, hatte sich einen schweren Ordner gegriffen und zugeschlagen. Die Frau ging gleich zu Boden. Dummerweise war es ihm vorher nicht gelungen, die Dateien von Poth zu öffnen. So konnte der fehlerhafte Abdruck in der Zeitung nicht mehr verhindert werden. Er war dann rigoros in die Offensive gegangen, hatte Kommissar Swensen nach dem Erscheinen sofort auf den Fehler hingewiesen und konnte so die Zeitung unterschwellig für den Bockmist verantwortlich machen. Hauptsache am Ende würden alle glauben, dass der tote Poth die Sache mit Nolde verpatzt haben musste. Obendrein hatte er Angst gehabt, dass bei der Nachforschung ›war es ein Druckfehler oder keiner‹ er selbst in die Schusslinie der Polizei geraten könnte. Man wusste ja nie. Ein blöder Zufall und schon ist man verdächtig.
    Auf dem Flur sind Schritte zu hören. Ein Schlüssel klirrt und dreht sich im Schloss. Dann geht die Tür auf. Eine große muskulöse Gestalt mit kurzgeschorenem Haar tritt ein.
    »Die Hände nach vorn«, schnauzt ihn der Beamte an.
    Ein ungehobelter Kerl, denkt er. Typisch, nach unten treten, aber wenn sich ein Vorgesetzter blicken lässt, wird sofort gebuckelt.
    »Mitkommen!«
    Eine kräftige Hand packt ihn am Oberarm, zieht ihn über den Flur und schiebt ihn durch eine Tür. Der kleine Raum wird von einem grellen Neonlicht erleuchtet. Durch die beiden Fenster sieht er die Morgendämmerung. Ein leerer Tisch steht quer im Raum. Dahinter sitzt diese blonde Hünin. Der Mann, der hinten links auf einem Stuhl sitzt, ist Kommissar Jan Swensen.
    »Nehmen Sie ihm bitte die Handschellen ab!«, sagt die Frau.
    Der Beamte schließt sie auf, nimmt sie und verlässt den Raum. Er setzt sich auf den leeren Stuhl vor dem Tisch.
    »Möchten Sie einen Kaffee, Herr Rohde?«, fragt die Frau.
    Er nickt kurz. Sie steht auf, geht zur Tür, öffnet sie und bittet den Beamten, der sich davor platziert hat, drei Kaffee zu bringen. Sie geht wieder an ihren Platz und setzt

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