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Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Titel: Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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für einen Moment schön. Da fragt man sich, ob die Physiker mit ihrer These von der Thermodynamik der Zeit wirklich richtig liegen. Wie war der noch? Ach ja, ein geschlossenes System zeichnet sich in der Zeit durch zunehmende Unordnung aus, was dazu führt, dass jedes System seine Vergangenheit vergisst. Da ist natürlich schon irgendwie was dran.
    Parallel zu seinen Gedanken hat er die eisernen Zähne einer Planierraupe vor Augen, die in die Ziegelfront seines Elternhauses stoßen. Das berstende Geräusch stürzt durch seinen Körper. Er fühlt tief im Inneren, wie vor ihm seine Kinderzeit zerbricht, ein Teil seiner Geschichte, endgültig und unwiederbringlich.
    Swensen war auf seinem Weg zur Arbeit wie immer durch den Jebensweg gekommen, in dem sein Elternhaus steht.
    Als seine Mutter 1997, zwei Jahre nach seinem Vater gestorben war, hatte er das Häuschen mit den völlig verwinkelten Räumen schweren Herzens an einen älteren Eisenbahner, einen langjährigen Kollegen seines Vaters, verkauft. Er selbst konnte sich nicht vorstellen dort einzuziehen und die ständige Instandhaltung des Gebäudes wollte er auch nicht leisten.
    Normalerweise registrierte er diese morgendliche Vorbeifahrt nur noch in seinem Unterbewusstsein. Doch heute war die Hälfte der Fahrbahn gesperrt. Der Zaun war niedergewalzt und schweres Gerät stand im Vorgarten. Swensen bremste und starrte fassungslos durchs Seitenfenster. Der alte Herr schien gestorben zu sein und der neue Eigentümer machte jetzt kurzen Prozess. Swensen traf das makabere Schauspiel aus heiterem Himmel. Tränen kullerten ihm die Wange hinab. Dieses Haus war, obwohl er es bereits vor einer Ewigkeit verlassen hatte, immer so etwas wie sein geschlossenes System gewesen. Jetzt hatte der thermodynamische Zeitpfeil dieses heile System erreicht und durchbohrt. In diesen Mauern hatte sich das entwickelt, was er heute war. Nun waren dort nur noch Trümmer, Unordnung, der Vergessenheit preisgegeben.
    Das Telefon klingelt. Der Kommissar schreckt auf und greift nach dem Hörer.
    »Püchel hier! Moin, Moin Jan, wir haben die Frühbesprechung um zwei Stunden verschoben. Randale in einer Kneipe am Hafen. Nur dass du Bescheid weißt, bis dann!«
    »In Ordnung, bis später!«
    Swensen lässt seinen Computer hochfahren, lädt sich das Programm mit den polizeilichen Suchsystemen auf den Bildschirm, gibt dann den Namen ›Irene Hering‹ ein und klickt auf › s uchen‹. Es klopft an der Tür, die schon im selben Moment aufgerissen wird. Silvia Hamans massive Gestalt steuert auf Swensens Schreibtisch zu.
    »Moin, Moin Jan! Seit wann hältst du denn deine Tür geschlossen?«
    »Weiß ich auch nicht! War wohl in Gedanken. Was gibt’s?«
    »Der Freund von der Herbst, du erinnerst dich, heißt Peter Stange, wohnt draußen in Wobbenbüllfeld und ist 45 Jahre. Ich hab ihn ausfindig gemacht und war gleich da um ihm auf den Zahn zu fühlen. Ist aber seit drei Monaten verheiratet und hat Edda Herbst nach eigener Aussage schon über sechs Monate nicht mehr gesehen. Wenn du mich fragst scheint das wahr zu sein. Ich glaube wir können ihn als Verdächtigen streichen.«
    »Wäre ja wohl zu einfach gewesen«, kommentiert Swensen und verfolgt gleichzeitig mit einem Auge seine Sucheingabe. Gerade baut sich das Bild einer jungen Frau auf, die selbst als digitale Abbildung aufgedonnert wirkt.
    »Bingo, Treffer!«, jubelt er los. Silvia macht ein verwundertes Gesicht, worauf Swensen sofort seine Stimme dämpft. »Sorry Silvia, einen Moment!«
    Er dreht sich zum Bildschirm und liest murmelnd vor:
    »Irene Hering, geboren am 20. Mai 1973 in Bredstedt, 1.79 m, Augenfarbe blau, wohnhaft in Husum, Nordbahnhofstr. 24. Wurde am 17. Juni 1998 wegen offensichtlicher Straßen-Prostitution polizeidienstlich erfasst. Führt auch den Namen Lola Lalou und arbeitet im Club 69.«
    »Wer ist das denn?«, fragt Silvia.
    »Irene Hering, alias Lola Lalou, ist die vermeintliche Geliebte dieses Künstlers Sylvester von Wiggenheim. Das ist der Mann, der uns heimlich die Fotos von der toten Edda Herbst zugeschickt hat. Den Namen hab ich gestern in Hamburg erfahren. Ich gehe mal davon aus, dass er nichts über ihren Broterwerb hier in Husum weiß.«
    »Wer weiß, wer weiß? Künstler sind doch in solchen Fragen eher liberal oder finden so was gerade schick.«
    »Wie dem auch sei. Ich befürchte die Dame bekommt bald Besuch von uns. Ich hätte dich gern dabei Silvia!«
     
    Er zieht seinen Notizblock heraus und überlegt widerwillig,

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