Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
eng?
Antwort: Ziemlich eng.
Frage: Haben Sie ein intimes Verhältnis?
Antwort: Das geht Sie gar nichts an.
Frage: Wir werden dieselbe Frage auch Frau Kargel
stellen.
Antwort: Bin ich jetzt etwa verdächtig oder warum
fragen Sie nach solchen Sachen?
Frage: Noch ist niemand oder jeder verdächtig. Das
sind reine Routinefragen. Also, gibt es ein
intimes Verhältnis?
Antwort: Ich mache dazu keine Aussage.
Frage: Gibt es schon eine Vorstellung, wer den
Vorsitz von Dr. Kargel übernimmt?
Antwort: Ich mache keine Aussage mehr, nicht ohne
einen Anwalt. Ich möchte, dass Sie sofort
das Tonbandgerät ausstellen.
Geschlossen: 9.00 Uhr
Gez. J. Swensen
Gelesen, genehmigt
und unterschrieben
Dr. Karsten Bonsteed
Swensen legt das Protokoll mit grübelndem Blick auf den Schreibtisch. Dr. Karsten Bonsteed ist einfach nicht sein Fall. Gleich vom ersten Augenblick an, schon damals im Storm-Haus, war er ihm nicht ganz koscher erschienen. Und die Vernehmung gestern Morgen hatte Swensen in seiner Abneigung nur bestätigt.
Wahrscheinlich spiegelt Bonsteed mir nur meine gesammelten Schattenseiten, denkt er, und zählt innerlich alle Eigenschaften auf, die Bonsteed besitzt und die er gleichzeitig an sich selber nicht ausstehen kann. Arroganz, Eitelkeit, Egozentrik, übertriebener Geltungsdrang.
Wie gut, dass es Menschen gibt, die einem die eigenen Geheimnisse offenbaren!
Seit er jeden Morgen vor der Arbeit regelmäßig meditiert, bemerkt Swensen, dass er mit seinem Ich viel härter ins Gericht geht. Früher war er immer blind gegen alles angerannt, was von außen kam. Er fühlte sich von Feinden umzingelt, die nur darauf warteten, sein jämmerliches Ich zu vernichten. Anna hatte ihn damals öfter auf seine merkwürdige Weltsicht hingewiesen, doch nun scheint die Meditation langsam Früchte zu tragen. Er beginnt zu verstehen, was sein Meister ihm sagen wollte, als er 1974 den Tempel Hals über Kopf wieder verließ, weil er Schiss um seine berufliche Zukunft bekam: Das Ich ist eine Illusion!
Ich glaube unser Ich watet stetig durch ein Dickicht von Vorurteilen, denkt er. Der Mensch ist gut, der ist böse, der ist sympathisch, den kann ich nicht ausstehen. Ich will eine schön geordnete Welt und ich entscheide, wie das gemacht wird. Die guten Menschen kommen in den Himmel und die Bösen in die Hölle. Ich erwarte, dass ein Mörder an der Last seiner Taten möglichst qualvoll zugrunde geht, an Krebs vielleicht oder zumindest an einem Herzschlag. Doch wie viele Nazi-Schergen erfreuten sich bis ins hohe Alter bester Gesundheit an Leib und Seele. Das Leben kennt meine Aufteilung anscheinend nicht. Strafe ist und bleibt nur eine Erfindung des Menschen und der Mensch kann irren.
Das Telefon klingelt. Mechanisch streckt Swensen seinen Arm zur Seite, fasst den Hörer und hält ihn ans Ohr.
»Swensen, Kripo Husum!«
»Landeskriminalamt Kiel, Gerd Schrott, Fachgruppe Schussspuren und Ballistik. Guten Morgen Herr Swensen.«
»Guten Morgen, Herr Schrott.«
»Ich habe gerade die Untersuchungsergebnisse in den Mordfällen Kargel und Poth vorliegen. Die Vergleichsanalyse der Projektile ergibt, dass sie aus derselben Waffe abgefeuert wurden.«
»Wir haben also nur einen Mörder?«
»Sie haben eine Waffe, Herr Swensen. Es ist Ihre Aufgabe rauszufinden, ob Sie auch nur einen Mörder haben.«
»Sie haben recht, auch wenn alles danach aussieht, keine voreiligen Schlüsse. Schicken Sie den Bericht bitte zu meinen Händen. Vielen Dank für die schnelle Arbeit.«
»Nichts zu danken, das ist unser Job.«
Swensen legt den Hörer auf, nimmt seinen Mantel aus dem Schrank und verlässt sein Büro. Auf dem Flur sind alle Türen geschlossen. Die Fahndung läuft auf Hochtouren.
* * *
Als sich die Haustür öffnet, stockt Swensen fast der Atem. Im Türrahmen steht eine bildschöne Frau und strahlt ihn mit einem offenen Lächeln an.
Die fröhliche Witwe, denkt er und schaut sie fasziniert an.
Ihr ovales Gesicht ist makellos glatt, eine hübsche, gerade Nase, aus den dunkelbraunen Augen sprüht das Feuer einer Südländerin. Das fast schwarze Haar ist schulterlang. Er schätzt sie auf einen Meter siebzig. Ihr Alter müsste bei Anfang dreißig liegen. Der üppige Körperbau erinnert ihn an die Sexbomben der f ünfzigerjahre. Swensen grüßt mit einem Kopfnicken und zeigt seinen Ausweis.
»Jan Swensen, Kripo Husum. Spreche ich mit Frederike Kargel?«
Keine Antwort. Das Lächeln erstarrt.
»Ich hab Ihrem Kollegen Mielke
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