Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen
glauben, das war ein bombastischer Auflauf! Da wurde nicht gekleckert, sondern richtig geklotzt. Empfang in der Pianobar. Ansprache vom Chefredakteur Theodor Bigdowski neben einer dekorativen Bronzebüste des Dichters. Einführende Worte von Dr. Karsten Bonsteed, und dann, ›Von der Novelle zum Roman‹, ein Vortrag von Ruppert Wraage.«
»Dann hat die Presse Bigdowski ja sicher aus der Hand gefressen?«
»Nicht ganz, das fehlende Original des Romans sorgte für reichlich Verstimmung. Bigdowski machte dafür einen übereifrigen Kripobeamten verantwortlich.«
»Was? Der meint klar mich!«
»Er hat deinen Namen aber nicht genannt!«
»Ich werde es mir jedenfalls merken. Übrigens, was war mit dem Entdecker? Kam dieser Hajo Peters in dem Festakt etwa nicht vor?«
»Doch, der war auch da.«
»Was. Los, erzähl schon!!«
»Nanu, warum dieser Eifer? Interessiert du dich etwa beruflich für den?«
»In einem Ermittlungsverfahren dürfen wir keine Auskünfte geben«, scherzt Swensen, wird dann aber wieder ernst. »Er interessiert mich wirklich.«
»Hajo Peters war anscheinend auf der falschen Veranstaltung. Der lief da eher ’rum wie Falschgeld. Bei der Ansprache hat ihn dieser Bigdowski zwar lobend erwähnt, aber ansonsten ging er in dem Trubel unter. Was ich so mitbekommen hab, wurden die Interviews zu dem Storm-Roman hauptsächlich von Bigdowski selbst, Bonsteed von der Storm-Gesellschaft und diesem Wraage, du erinnerst dich doch noch an den, der auf dem Storm-Symposium …«
»… von dem Storm-Roman gefaselt hat. Ich kann den Namen langsam nicht mehr hören. Das ist der, der immer schon … usw. usw«, ergänzt Swensen. »Und Peters, wie hat er sich verhalten?«
»Der wirkte ziemlich angespannt, vielleicht war er auch sauer. Ich sah ihn kurz in einem heftigen Wortgefecht mit Wraage, konnte aber nichts verstehen.«
Bruno bringt das Essen. Schon während er die Teller hinstellt, steigt der zarte Duft von Rosmarin auf.
»Das sieht ja phantastisch aus!«, lobt Swensen und schenkt Anna und sich selbst nach.
»Ja, einfach phantastisch!«, wiederholt Anna Diete, indem sie Bruno zunickt. Während sie zum Besteck greifen, verstummt ihr Gespräch. Die knusprige Entenbrust auf Annas Teller ist rautenförmig eingeritzt. In der Mitte wurde das Fleisch aufgeschlitzt und mit Radicchio gefüllt. Swensen spießt einige Bandnudeln auf seine Gabel. Seine Zunge ertastet den Geschmack der würzigen Grappasauce. Die Steinpilze, der frische Parmesan, ein Hauch von Knoblauch, köstlich. Er kaut langsam in rhythmischen Kieferbewegungen. Doch das brillante Essen zieht ihn nicht in seinen Bann. Die verquere Frühkonferenz spukt beharrlich in seinen Gedanken herum. Püchels Angriff auf seine Autorität macht ihm mehr zu schaffen, als er sich eingestehen will.
Gelassenheit, Swensen! Du weißt, was zu machen ist. Die Ermittlungsmaschine läuft, was kannst du dafür, dass sie keine brauchbaren Ergebnisse produziert.
Nach der Konferenz hatte er Mielke beiseite genommen und ihn gebeten sämtliche Daten und Fakten aus Hajo Peters’ Leben durchzuchecken.
»Prüf’ alles von dem, was irgendwo gespeichert ist«, hatte er ihm gesagt. »Alles, was du findest, rauf und runter. Ich will alles über den Mann wissen, jeden Schnupfen, jede Auffälligkeit. Aber ›top-secret‹! Ich möchte auf keinen Fall, dass der Typ Wind davon bekommt!«
Danach war er allein im Raum geblieben, hatte dagesessen und über seinen Zetteln gegrübelt um die Zeit bis zur Pressekonferenz zu überbrücken. Dann waren ihm die neuen Vergrößerungen von Eddas Leiche im Watt wieder eingefallen. Er hatte sie in der Unruhe der letzten zwei Wochen noch gar nicht genau angesehen. Mit einem Stuhl setzte er sich direkt vor die Pinnwand, ließ die Abzüge auf sich wirken. Eddas schrecklich zugerichtetes Gesicht aus mehreren Perspektiven. Ganz rechts hingen die neuen Bilder, die er persönlich bei von Wiggenheim besorgt hatte. Eine Hand, die aus einer Sandverwehung herausragt. Mehrere Fotos mit Reifenspuren. Was war das? Hatte er da was gesehen?
Anna hebt ihr Glas. Das Glitzern überlagert Swensens Blick in die Ferne. Vor seinen Augen dreht sich der reale Wein dunkelrot im Kelch. Er nimmt sein Glas und lässt es an Annas erklingen. Ein feiner Ton schwebt an sein Ohr. Auf seiner Zunge breitet sich das Bukett des kräftigen Weins aus. Swensen ist wieder da. Er speist. Seine Laune bessert sich merklich. Als sie beide ihr Besteck schräg auf den Teller legen, fühlt er sich
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