Hafen der Träume: Roman (German Edition)
Bett. Er schämte sich, weil er Sybill angegriffen hatte, nur weil er selbst nicht mit seinen Gefühlen zurechtgekommen war. »Dann weinen sie, schreien dich an oder verziehen sich schmollend in eine Ecke. Sie empfindet sehr viel für dich, weiß aber nicht, wie sie damit umgehen soll. Und sie ist sich nicht darüber im Klaren, was du von ihr erwartest.«
»Das weiß ich auch nicht. Sie ist nicht … nicht wie Gloria.« Seine Stimme klang einen Ton höher. »Sie ist anständig. Das war Ray auch, und ich denke … Sie sind so etwas wie meine Verwandten, oder nicht? Also muss ich …«
Phillip begriff, und sein Herz zog sich zusammen. »Du hast Rays Augen«, sagte er nüchtern. Wenn es ihm gelang, sich richtig auszudrücken, würde Seth es auch verstehen. »Die Farbe, die Form und auch einen gewissen Ausdruck. Dieses Etwas, das anständig war. Du hast einen scharfen Verstand – wie Sybill. Du denkst über vieles nach, hinterfragst und analysierst, was geschieht. Und dann versuchst du, alles richtig zu machen. Anständig zu sein. Er stieß Seth mit seiner Schulter an. »Ziemlich cool, oder?«
»Ja.« Ein breites Grinsen erschien auf Seths Gesicht. »Das ist wirklich cool.«
»Okay, dann mal los, sonst kommen wir heute gar nicht mehr von hier weg!«
Er kam beinahe fünfundvierzig Minuten nach Cam am Bootshaus an und rechnete deshalb mit Ärger. Cam saß bereits am Hobler und fugte einige Schiffsplanken zusammen. Im Radio sang Bruce Springsteen lauthals von glorreichen Tagen. Phillip drehte die Musik leiser, und sofort fuhr Cam auf.
»Ich kann bei dem Motorengeräusch die Musik nur hören, wenn sie laut ist.«
»Wenn du dir jeden Tag stundenlang die Ohren so zudröhnst, werden wir alle irgendwann gar nichts mehr hören.«
»Was? Hast du etwas gesagt?«
»Ha, ha.«
»Wir sind heute guter Laune, nicht wahr?« Cam stellte den Recorder ab. »Wie geht es Sybill?«
»Fang nicht damit an.«
Cam legte den Kopf zur Seite, als Seth ihm einen bösen Blick zuwarf, und freute sich auf den Unterhaltungswert einer Quinnschen Familienschlacht. »Ich habe dir nur eine einfache Frage gestellt.«
»Sie wird es überleben.« Phillip griff nach einem Keilriemen und hob ihn hoch. »Mir ist klar, es würde dir besser gefallen, sie hätte fluchtartig die Stadt verlassen. Du musst dich allerdings damit abfinden, dass ich ihr heute Morgen lediglich die Meinung gesagt und sie nicht von hier vertrieben habe.«
»Und warum, zum Teufel, hast du das getan?«
»Weil ich stinksauer auf sie war. Das alles regt mich auf«, schrie Phillip. »Und auf dich bin ich besonders wütend.«
»Gut, du suchst also Streit. Bitte, ich stehe zur Verfügung. Aber ich habe dir nur eine einfache Frage gestellt.«
Cam zog das Holzbrett vom Hobler und ließ es krachend auf den Stapel daneben fallen. »Sie hat bereits gestern einen Schlag in die Magengrube bekommen. Warum musst du also heute Morgen noch eins draufsetzen?«
»Du nimmst sie in Schutz?« Phillip kam näher, bis seine Nase beinahe die seines Bruders berührte. »Du verteidigst sie, nach all dem Mist, den du bisher über sie erzählt hast?«
»Ich habe schließlich Augen im Kopf. Wofür hältst du
mich eigentlich? Ich habe gestern ihr Gesicht gesehen.« Cam tippte mit dem Finger gegen Phillips Brustkorb. »Jeder, der eine Frau angreift, wenn sie sowieso schon verletzt ist, verdient eine ordentliche Tracht Prügel.«
»Du verdammter …« Phillip ballte die Fäuste und holte zum Schlag aus. Doch dann beherrschte er sich. Er hätte gegen eine Prügelei nichts einzuwenden gehabt – vor allem, weil Ethan nicht hier war, um einzugreifen. Aber nicht, wenn er derjenige war, der Hiebe verdient hatte.
Er ließ die Hände sinken, öffnete die Fäuste und versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen. Als er sich umdrehte, sah er, dass Seth ihn mit seinen dunklen Augen interessiert musterte. »Misch du dich nicht ein!« knurrte er.
»Ich habe doch gar nichts gesagt.«
»Hört zu, ich habe mich um sie gekümmert, okay?« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und wandte sich mit seiner Erklärung an die beiden. »Sie durfte sich bei mir ausweinen. Dabei habe ich ihr die Hand gehalten, ihr dann ein warmes Bad einlaufen lassen und sie anschließend ins Bett gesteckt. Ich bin bei ihr geblieben und habe deshalb wahrscheinlich nur eine Stunde Schlaf bekommen. Also bin ich im Augenblick ein wenig gereizt!«
»Und warum hast du sie angeschrien?« wollte Seth wissen.
»Na gut.« Er holte tief
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