Hafen der Träume: Roman (German Edition)
die seiner Frau.
»Nein. Er konnte es nicht wissen. Gloria war fast vier, als ich zur Welt kam. Ich weiß nicht, welche Beziehung meine Eltern in ihrer frühen Kindheit zu Gloria hatten. Ich weiß nur, dass sie sich später zurückgesetzt und ausgeschlossen fühlte. Sie war schwierig und launenhaft und sehr anspruchsvoll. Und sie war aufsässig. Sie weigerte sich schon als Kind, gewisse Erwartungen an gutem Benehmen zu erfüllen.«
Wie kalt das klang, dachte Sybill, und wie hart. »Wie dem auch sei, sie verließ das Elternhaus, ehe sie volljährig war. Später erfuhr ich, dass außer mir auch meine Mutter und mein Vater ihr unabhängig voneinander Geld zukommen ließen. Sie nahm Verbindung zu jeweils einem von uns auf und flehte, forderte und drohte, je nachdem, welche Taktik am besten klappte. Das erfuhr ich erst, nachdem Gloria mich vor einem Monat wegen Seth anrief.«
Sybill legte eine Pause ein, um ihre Gedanken zu sammeln.
»Bevor ich nach St. Chris kam, flog ich nach Paris zu meinen Eltern. Ich hatte das Gefühl, sie sollten vom Stand der Dinge unterrichtet werden. Seth war ihr Enkelkind, das Gloria weggenommen worden war und bei
Fremden lebte. Als ich meiner Mutter erzählte, was geschehen war, wehrte sie sich dagegen, in die Sache hineingezogen zu werden und verweigerte strikt ihre Unterstützung. Ich war völlig verblüfft und wütend. Wir trennten uns im Streit.« Sybill lachte kurz auf. »Sie war wohl selbst völlig verblüfft, sonst hätte sie mir das alles nicht erzählt.«
»Gloria wusste also Bescheid«, stellte Phillip fest. »Sie hat gewusst, dass Ray Quinn ihr Vater war, sonst hätte sie sich nicht mit ihm in Verbindung gesetzt.«
»Ja, sie wusste es. Vor ein paar Jahren wandte sie sich an meine Mutter, als meine Eltern sich einige Monate in den Staaten aufhielten. Ich nehme an, es kam zu einer unerfreulichen Szene. Meine Mutter sagte mir, Gloria habe eine beträchtliche Summe gefordert und gedroht, sie schalte die Polizei und die Presse ein und alle, die ihr Gehör schenken würden, wenn sie meinen Vater beschuldigte, sie sexuell missbraucht zu haben, im stillschweigenden Einverständnis mit meiner Mutter, der daran gelegen war, die Vorfälle zu vertuschen. Nichts davon entspricht der Wahrheit.« Sybills Stimme war schleppend und müde geworden. »Gloria benutzte Sex immer, um Macht auszuüben und ihre Ziele durchzusetzen. Ständig beschuldigte sie Männer, vorwiegend Männer in einflussreichen Positionen, sie sexuell genötigt zu haben.
Meine Mutter gab ihr mehrere tausend Dollar und erzählte ihr das, was ich Ihnen gerade erzählt habe. Sie sagte Gloria, dass sie nie wieder einen Penny von ihr zu erwarten habe und nie wieder ein Wort mit ihr sprechen würde. Meine Mutter nimmt nur selten, höchst selten etwas zurück. Das wusste auch Gloria.«
»Also hat sie sich an Ray Quinn gewandt«, folgerte Phillip.
»Ich weiß nicht, wann sie auf die Idee kam, ihn ausfindig zu machen. Der Gedanke mag ihr eine Weile im
Kopf herumgegangen sein. Ich vermute, sie hat in ihm den Grund gesehen, warum sie nie in der Weise geliebt und anerkannt worden war, wie sie es glaubte verdient zu haben. Ich kann mir vorstellen, dass sie ihrem Vater die Schuld daran gab. Gloria braucht immer einen Sündenbock, wenn sie in Schwierigkeiten steckt.«
»Sie hat ihn gesucht und gefunden.« Phillip hielt es nicht länger auf seinem Stuhl aus, er sprang aufgewühlt hoch. »Und wie üblich forderte sie Geld, sprach Beschuldigungen und Drohungen aus. Und diesmal benutzte sie ihren eigenen Sohn als Mittel zum Zweck.«
»Vermutlich. Es tut mir Leid. Ich hätte wissen müssen, dass Sie diese Zusammenhänge nicht kennen. Vermutlich habe ich geglaubt, Ihr Vater habe Ihnen mehr davon erzählt.«
»Dafür blieb ihm keine Zeit.« Cams Stimme war kalt und bitter.
»Mir sagte er, er bekomme nähere Auskünfte«, erinnerte sich Ethan. »Danach wollte er uns alles erklären.«
»Er muss versucht haben, mit Ihrer Mutter Verbindung aufzunehmen.« Phillip durchbohrte Sybill mit einem durchdringenden Blick. »Vermutlich wollte er mit ihr sprechen, um sich Gewissheit zu verschaffen.«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß es einfach nicht.«
»Aber ich weiß es«, versetzte Phillip knapp. »Sicherlich hätte er das getan, was er für richtig hielt. In erster Linie für Seth, weil er ein Kind ist. Aber er wollte auch Gloria helfen, davon bin ich überzeugt. Um das zu tun, musste er mit der Mutter sprechen, um herauszufinden, was
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