Hafen der Träume: Roman (German Edition)
gleiten und führte sie durch die Halle.
»In einer halben Stunde wissen sechs ihrer besten Freundinnen Bescheid«, murmelte Sybill.
»Wenn das ausreicht. Die Sensationen einer Kleinstadt. Die Quinns werden heute in einigen Familien Gesprächsthema Nummer Eins beim Abendessen sein und morgen beim Frühstück sind wir Stadtgespräch.«
»Und das finden Sie amüsant«, entgegnete Sybill spitz.
»Es beruhigt mich irgendwie, Dr. Griffin. Traditionen haben etwas Beruhigendes. Ich habe mit unserem Anwalt gesprochen«, fuhr er beim Überqueren der Hafenstraße fort. Möwen umschwirrten kreisend einen Fischkutter, der in den Hafen tuckerte. »Ihre beglaubigte Aussage ist eine Hilfe, er möchte aber noch gern eine eidesstattliche Erklärung von Ihnen, Anfang nächster Woche, wenn Sie das einrichten können.«
»Ich werde einen Termin mit ihm vereinbaren.« Vor
der Bank blieb sie stehen und drehte sich ihm zu. Er hatte sich umgezogen und trug bequeme Freizeitkleidung. Der Wind vom Meer fuhr ihm in die Haare. Seine Augen waren hinter einer Sonnenbrille verborgen, und eigentlich war sie froh, ihren Ausdruck nicht zu sehen. »Ich gehe lieber allein in die Bank, sonst entsteht möglicherweise der Eindruck, ich stehe unter Arrest.«
Phillip hob lediglich die Hände und trat einen Schritt zurück. Eine harte Nuss, dachte er, während er ihr nachsah, wie sie die Bank betrat. Aber er hatte so ein Gefühl, dass sich hinter der harten Schale, wenn sie einmal geknackt war, ein weicher, ja sogar köstlicher Kern, verbarg.
Er wunderte sich, dass eine so intelligente, in menschlichen Belangen ausgebildete und hoch qualifizierte Frau wie sie unfähig war, ihre eigene Störung zu sehen, sich nicht eingestehen konnte oder wollte, dass es etwas in ihrer eigenen Kindheit gab, das sie gezwungen hatte, Mauern zu errichten.
Beinahe hätte er den Fehler begangen, grübelte er weiter, sie für einen kalten Fisch zu halten, zu distanziert und abgehoben, um die Niederungen der menschlichen Natur an sich heran zu lassen. Vielleicht war das aber bloßes Wunschdenken. Jedenfalls war er entschlossen, sich Gewissheit zu verschaffen. Und zwar bald.
Über ihre Familiengeheimnisse zu sprechen und der Öffentlichkeit preiszugeben war mit Sicherheit demütigend und vermutlich auch schmerzhaft für sie. Andererseits hatte sie bedingungslos ihre Zustimmung gegeben und sie ohne Zögern in die Tat umgesetzt.
Niveau, dachte er. Und Integrität. Ja, das hatte sie. Und vermutlich auch Herz.
Sybill kam mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen aus der Bank. »Zum ersten Mal in meinem Leben
habe ich gesehen, wie einem Notar beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen wären. Ich glaube, das sollte …«
Was sie außerdem noch hervorsprudeln wollte, wurde von seinem Mund erstickt, der sich auf ihre Lippen legte. Sie hob eine Hand, doch ihre Finger krallten sich nur hilflos in die weiche Wolle seines Pullovers.
»Sie sahen aus, als würde Ihnen das gut tun«, sagte er leise und fuhr mit der Handfläche über ihre Wange.
»Obwohl alle Leute …«
»Zum Teufel, Sybill, die reden doch ohnehin über uns. Wieso sollten wir ihre Sensationslust nicht noch ein bisschen anheizen?«
Sybills Gemüt war in Aufruhr, es fiel ihr schwer, weiteren Anschlägen auf ihre Fassung standzuhalten. »Ich habe keine Lust, mich zur Schau zu stellen. Wenn Sie also bitte …«
»Einverstanden. Gehen wir woanders hin. Ich bin mit dem Boot hier.«
»Mit dem Boot? Ich kann unmöglich auf ein Boot. Ich bin nicht dafür angezogen. Ich habe zu tun.« Ich muss klar denken, befahl sie sich, doch er zog sie bereits auf die Mole.
»Eine Segelpartie wird Ihnen gut tun. Ihre Kopfschmerzen fangen schon wieder an. Frische Luft ist besser als Medizin.«
»Ich hab’ keine Kopfschmerzen.« Nur diese ekelhaft bleierne Schwere im Kopf als drohenden Vorboten. »Und ich will nicht …« Ein spitzer Schrei entfuhr ihr, als er sie einfach hochhob und auf die Schiffsplanken stellte.
»Betrachten Sie sich als gewaltsam entführt, Doc.«
Mit ein paar geschickten Griffen machte er die Leinen los und sprang an Bord. »Ich habe das Gefühl, diese wichtige Erfahrung fehlt in Ihrem kurzen, wohl behüteten Leben.«
»Mein Leben geht Sie nichts an. Auch nicht, ob mir
etwas fehlt. Wenn Sie den Motor anlassen, dann …« Zähneknirschend brach sie ab, als der Motor tuckernd ansprang. »Phillip, ich will sofort in mein Hotel. Augenblicklich.«
»Ein Nein als Antwort hören Sie wohl selten, wie?« sagte er
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