Hafen der Träume: Roman (German Edition)
Großvater?«
»Ja. Tut mir Leid, dass ich dir das nicht gesagt habe. Tut mir Leid, dass du das nicht gewusst hast …« Sie
schüttelte den Kopf und richtete sich wieder auf. »Ich ahnte nicht, dass es darüber Unklarheiten gab. Ich hätte es mir denken können. Ich habe es ja selbst erst vor kurzem erfahren.«
Sie ging zu ihrem Stuhl zurück und setzte sich. »Ich werde Ihnen alles erzählen, was ich weiß.«
KAPITEL 12
Jetzt war es leichter. Beinahe wie eine Vorlesung. Sybill hielt häufig Referate über soziale Themen. Sie musste nur darauf achten, sich nicht mit dem Inhalt zu identifizieren und ihren Bericht klar und verständlich formulieren.
»Professor Quinn hatte eine Beziehung mit Barbrara Harrow«, begann sie. Sie stand mit dem Rücken zum Fenster, um die Gesichter der Zuhörer zu sehen. »Die beiden lernten sich an der Universität von Washington kennen. Über nähere Einzelheiten bin ich nicht unterrichtet, weiß aber, dass Quinn dort unterrichtete und sie seine Studentin im letzten Semester war. Barbara Harrow ist meine Mutter. Glorias Mutter.«
»Mein Vater«, murmelte Phillip. »Und ihre Mutter.«
»Ja. Das liegt fünfunddreißig Jahre zurück. Ich nehme an, dass die beiden sich zueinander hingezogen fühlten, zumindest körperlich. Meine Mutter …« Sie räusperte sich. »Meine Mutter ließ in einem späteren Gespräch mit mir durchblicken, dass sie Ray Quinn für sehr begabt hielt und mit einer steilen Universitätskarriere rechnete. Erfolg ist ein wichtiger Faktor im Leben meiner Mutter. Sie war von seinem Mangel an Ehrgeiz enttäuscht, da er mit seiner Lehrtätigkeit ganz zufrieden war und allem Anschein nach kein Interesse an gesellschaftlichen Verpflichtungen hatte, denen man zu einem raschen Aufstieg nachkommen muss. Im Übrigen war er für ihren Geschmack zu liberal in seinen politischen Ansichten.«
»Sie war an einem wohlhabenden, einflussreichen Ehemann interessiert«, warf Phillip mit hochgezogenen Augenbrauen ein. »Und hat festgestellt, dass er nicht der Richtige war.«
»Das ist grundsätzlich richtig«, pflichtete Sybill ihm kühl und unbewegt bei. »Vor fünfunddreißig Jahren war unser Land in Aufruhr, die Jugend lehnte sich gegen das Establishment auf. In den Hochschulen wimmelte es von rebellischen Studenten, die nicht nur einen unpopulären und sinnlosen Krieg ablehnten, sondern auch viele gesellschaftliche Normen infrage stellten. Auch Professor Quinn stellte manches infrage und sympathisierte mit seinen Studenten.«
»Er war ein intelligenter Mann«, murmelte Cam. »Und er hatte Rückgrat.«
»Nach der Darstellung meiner Mutter vertrat er Standpunkte« – Sybill brachte ein dünnes Lächeln zustande –, »mit denen er häufig bei der Verwaltung der Universität aneckte. Die Meinungen über Prinzipienfragen und Wertvorstellungen der beiden drifteten in vieler Hinsicht weit auseinander. Jedenfalls kehrte meine Mutter mit ihrem Abschlussexamen nach Boston zurück, enttäuscht, wütend – und schwanger.«
»Quatsch«, unterbrach Cam sie ungehalten. »Tut mir Leid«, murmelte er, als Anna ihn mit einem strafenden Blick zurechtwies. »Aber das ist Quatsch. Er hätte sich niemals vor der Verantwortung für ein Kind gedrückt. Niemals.«
»Sie hat es ihm nie gesagt.« Sybill verschränkte die Hände, als alle Blicke sich wieder auf sie richteten. »Sie war wütend. Vielleicht hatte sie auch Angst, aber in erster Linie war sie wütend, ein Kind von einem Mann zu bekommen, den sie mittlerweile als Partner für ungeeignet hielt. Sie zog einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung. Dann lernte sie meinen Vater kennen, und es klickte bei beiden.«
»Er war anscheinend der Richtige«, folgerte Cam.
»Ich glaube, sie passten sehr gut zueinander.« Ihre Stimme wurde frostig. Zum Teufel, es waren schließlich ihre Eltern. Irgendetwas musste ihr doch bleiben.
»Meine Mutter befand sich in einer schwierigen und beängstigenden Situation. Mit fünfundzwanzig war sie zwar kein Kind mehr, aber eine unerwünschte Schwangerschaft ist für jede Frau eine Belastung. In einem Moment der Schwäche oder Verzweiflung gestand sie meinem Vater ihren Zustand. Er machte ihr einen Heiratsantrag. Er liebte sie.« Sybills Stimme war leise geworden. »Er muss sie sehr geliebt haben. Sie heirateten schnell und ohne grosses Brimborium. Meine Mutter ging nie wieder nach Washington zurück. Sie blickte nur nach vorn.«
»Wusste Dad nicht, dass er eine Tochter hat?« Ethan legte seine Hand auf
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