Hafenmord - ein Rügen-Krimi
stimmte Vera zu. »Er veränderte sich – mal ganz abrupt, von einem Tag zum anderen, dann wieder hatte ich das Gefühl eines schleichenden Prozesses. Und auf einmal war wieder alles ganz normal, über einen so langen Zeitraum, dass ich davon ausging, alles würde gut werden und ich hätte manches nur falsch bewertet … Er hatte Phasen, in denen seine Stimmungen an einem einzigen Tag auf und ab schaukelten, er wurde zunehmend unberechenbarer … und gewalttätig«, erzählte sie freimütig. »Er trieb Machtspiele mit mir, und ich hatte immer größere Angst vor ihm, ohne dass ich in der Lage gewesen wäre, die Konsequenzen zu ziehen.«
Das werde ich nie verstehen, dachte Romy. Mich würde ein Kerl nur ein einziges Mal schlagen, und er würde das schon zwei Sekunden später bereuen … Falsch, berichtigte sie sich. Ich würde mich immer wehren, und diese Nicht-Opfer-Haltungüberträgt sich. Allein deswegen würde ich wahrscheinlich gar nicht in eine solche Situation geraten.
»Und die Kinder? Hat er ihnen je etwas getan?«
Vera schüttelte den Kopf. »Nein. Soweit ich das mitbekommen habe, hat er sie mal angeschrien, aber nie geschlagen. Er liebte die Kinder sehr.« Sie räusperte sich. »Wissen Sie, manchmal dachte ich sogar, ich würde spinnen: Nach außen hin war alles perfekt. Niemand konnte sich vorstellen, wie es manchmal bei uns zuging. Wahrscheinlich hätte mir ohnehin niemand geglaubt. Alle dachten, ich hätte den großen Glücksgriff getan und wir wären die perfekte Familie …«
»Und von Mirjam Lupaks Entführung 2005 haben Sie tatsächlich nichts bemerkt?«, fragte Romy.
»Nein. Im Nachhinein fällt einem natürlich dies oder jenes auf, aber damals …« Sie schüttelte den Kopf. »Mein Sohn war noch klein, gerade ein Jahr alt. Kai war angespannt und sehr aufgeregt, das bemerkte ich schon, ja. Aber ich habe das auf seine Arbeit zurückgeführt. Und unterwegs war er grundsätzlich sehr viel.«
Romy lehnte sich zurück. »Was hat Sie am letzten Samstag bewogen, aktiv zu werden?«
»Ich spürte, dass etwas vorging – seit Wochen schon«, erwiderte Vera. »Vielleicht bin ich hellhöriger geworden seit meiner Beziehung mit Christoph, weil ich Angst hatte, Kai könnte uns doch mal erwischen. Vielleicht war er besonders angespannt. Als er mittags nicht zurück war, wurde ich jedenfalls nervös. Kai hatte sich fest vorgenommen, den neuen Laptop fertig einzurichten – das war ihm wichtig. Ein um mehrere Stunden verlängertes Training, ohne besonderen Anlass … An diesem Wochenende passte das einfach nicht in seine Pläne.« Sie starrte einen Moment ins Leere.
»Das zwanghafte Getue um sein Zimmer ging mir schon seit geraumer Zeit auf die Nerven – besser gesagt: Ich hinterfragtees zunehmend. Kai wollte nicht einfach nur seine Privatsphäre gewahrt wissen – er wirkte wie jemand, der etwas zu verbergen hatte. Ich wollte die Chance nutzen … Als ich den Zweitschlüssel nirgends entdeckte, dafür aber zufällig feststellte, dass die Balkontür einen Spalt geöffnet war, bin ich kurzerhand … Na, Sie wissen schon.«
»Ja, ich weiß, Frau Richardt – was haben Sie vorgefunden?«, fragte Romy und hörte selbst, wie angespannt ihre Stimme klang.
»Der neue Laptop stand auf dem Schreibtisch …«
»Wo war der alte?«
»Den hatte er bereits am Freitag mit ins Geschäft genommen.«
Romy nickte. »Weiter.«
Vera strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Er war eingeschaltet. Ich dachte zunächst, Kai hätte nur vergessen, ihn nach dem Herunterfahren auszustellen, aber so war es nicht …« Sie schluckte. »Sie hatten recht – ich kenne mich ganz gut aus mit Computern, viel besser übrigens, als auch Kai je geahnt hat. Ich habe relativ schnell entdeckt, dass im Hintergrund eine Videoaufzeichnung lief und darüber hinaus verschiedene Videodateien gespeichert waren.«
Romy atmete tief ein. Sie ballte eine Hand zur Faust.
»Kai hatte eine Kamera in Betrieb genommen und Testaufnahmen gemacht«, berichtete Vera weiter.
Romy beugte sich vor. »Haben Sie …?«
»Ja, natürlich habe ich genauer nachgesehen«, unterbrach Vera die Kommissarin. »Er winkte in seinem Radlerdress grinsend in die Kamera und sagte …«
»Ja?«
»Er sagte, dass er sich schon auf Mirjam freue. Sie kenne ja das schnucklige Versteck. Alles sei für sie vorbereitet.«
Romy legte die Handinnenflächen aneinander und stützteihr Kinn auf die Fingerspitzen. »Wo die Aufnahmen gemacht wurden, konnte Sie nicht
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