Hafenmord - ein Rügen-Krimi
wahr?«
Die Frage verblüffte sie. Sie senkte kurz den Kopf, nickte schließlich. »Ja. Es erstaunt mich, dass Sie davon Kenntnis haben … Er hat mir die Schuld gegeben. All die Jahre. Dabei habe ich …« Sie schüttelte den Kopf.
»Ja?«
»Ich wüsste nicht, was Sie das anginge.«
»Der schreckliche Tod des Kindes hat Kai niemals losgelassen«, bemerkte Beerwald ruhig. »Was genau ist damals passiert?«
»Was soll denn passiert sein!«, ereiferte sich Anna Richardt plötzlich in messerscharfem Ton, so dass ihr Mann zusammenzuckte. »Mark hatte Bauchweh – wie so oft. Ich habe ihm Tee gekocht und ihn …«
»Gebadet?«
»Ja, genau«, sie nickte zufrieden und warf Beerwald einen anerkennenden Blick zu. »Sauberkeit und Hygiene sind wichtig, elementar wichtig: für Körper, Geist und Seele. Ein Bad ist viel mehr als eine Säuberung. Es geht um innere und äußere Reinigung, verstehen Sie?«
»Ich gebe mir Mühe.«
»Meine Söhne sind täglich gewaschen und gebadet worden.«
»Aber das hat in dem Fall nicht geholfen?«
»Nein. Es wurde schlimmer«, sagte sie. »Nach fünf Tagen sind wir ins Krankenhaus gefahren. Aber da war es zu spät.«
Sie starrte ihn an. »Die Polizei war damals hier und hat mich, hat uns dazu befragt.« Einen Moment lang hing sie ihren Erinnerungen nach. »Und was genau wollen Sie jetzt mit der alten Geschichte, noch dazu an einem so schrecklichen Tag?«
Fünf Tage hat das Kind gelitten, dachte Beerwald erschüttert. Er erinnerte sich an seine Blinddarmentzündung. Seine Eltern hatten ihn nach wenigen Stunden ins Krankenhaus gebracht. Er sah zur Seite und blickte Martin Richardt an, in dessen Augen der Schmerz immer deutlicher hervortrat.
Ist es wirklich meine Aufgabe, alte Geschichten hervorzuzerren, auf einen Zusammenhang zu verweisen, der nicht mal eindeutig, geschweige denn bewiesen war, und den alten Leuten ihren Seelenfrieden zu rauben?, fuhr es Beerwalddurch den Kopf. Hätte der Sohn einen anderen Lebensweg eingeschlagen und wäre nicht zum Vergewaltiger und Mörder geworden, wenn seine Mutter liebevoller, weicher, aufmerksamer gewesen wäre? Und was hat Anna Richardt dazu getrieben, so zu werden, wie sie geworden war: zwanghaft, rücksichtslos und hart?
Schuld und Verantwortung. Solange man auf jemanden trifft, der Antworten geben könnte, sollte man auch Fragen stellen. Wer das Rad anhalten kann, muss es auch tun, und sei es nur für einen Augenblick. Beerwald, du wirst ganz schön melancholisch, dachte er verblüfft. So kannte er sich gar nicht.
»Erinnern Sie sich an Lilly Arnold?«, hob er plötzlich an.
»Noch so eine alte Geschichte«, kommentierte Anna Richardt empört. »Was wird das hier?«
»Lilly Arnold ist damals in Ihrem Hotel verschwunden«, fuhr Beerwald fort, ohne den Einwand zu beachten. »Die Polizei geht inzwischen davon aus, dass Kai etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hatte.«
»Was erzählen Sie denn da für einen Unsinn?«
»Auf Rügen sind noch drei weitere Frauen seine Opfer geworden«, erklärte er in unverändert ruhigem Tonfall. »Die Ermittler gehen davon aus, dass Ihr Sohn im Zusammenhang mit diesen Gewaltverbrechen sein Leben verlor. Ich bin der Meinung, dass Sie das erfahren sollten.«
Einen Moment herrschte tiefstes Schweigen.
»Warum denken Sie das?«, fragte Anna dann mit klirrender Stimme.
»Weil nun niemand mehr an Marks Todestag anrufen wird.«
Die Antwort entbehrte der Logik, dachte er, aber als sie heraus war, hätte er sie auch nicht mehr zurücknehmen wollen. Sie gehörte hierher. Er ließ sie nachklingen, drehte sich um und verließ den Raum.
Als er das Gelände der Seniorenresidenz hinter sich gelassen hatte, spürte er, dass seine Hände zitterten. Gut, dass ich nicht mehr rauche, dachte er. Sonst würde ich mir jetzt zwei Zigaretten auf einmal anzünden.
Er fuhr zur Dienststelle, schrieb eine lange Mail an die Kommissarin mit der schönen Stimme und dem klangvollen Namen und spielte anschließend zwei Stunden Solitär.
»Wir waren zu Beginn unserer Ehe glücklich«, sagte Vera. »Sehr glücklich sogar.«
Romy, die das Verhör allein begonnen hatte, da Kasper noch unterwegs war, hatte den Eindruck, dass die Witwe ihr zum ersten Mal offen und gerade ins Gesicht sah.
»Kai war sehr charmant, hatte immer einen Scherz auf den Lippen, tausend Ideen und Energie für drei. Ich wollte diese Ehe, ich wollte Kinder, ich träumte von einem erfüllten Leben …«
»Aber so blieb es nicht?«
»Nein, so blieb es nicht«,
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