Hafenmord - ein Rügen-Krimi
Überzeugung jedenfalls. Ich weiß, dass es dazu auch andere Meinungen und Forschungsansätze gibt, aber mir will das einfach nicht in den Kopf, verstehen Sie?«
Beerwald seufzte leise. Er schätzte, dass die Kollegin noch ziemlich jung war. »Die Hintergründe des Falls« waren nebensächlich, wenn er aufgeklärt war, zumindest gehörte es nicht zu den Hauptaufgaben der Ermittler, die Lebens- und Leidensgeschichte des Täters in allen Einzelheiten zu rekonstruieren. Dafür blieb ohnehin kaum Zeit, und außerdem war das der Job anderer Spezialisten: Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter …
»Viele Täter waren auch mal Opfer, Kollegin. Wie weit wollen Sie zurückgehen?«
»Solange ich auf jemanden treffe, den ich fragen kann, tue ich das. Vielleicht lerne ich etwas dabei. Und kann es weitergeben.«
Beerwald nickte. Sie war sehr jung. Vielleicht war ich auch mal so, überlegte er. Und vielleicht ist es gut, dass es immer eine nachwachsende Generation gibt, die alles sehr genau wissen will – selbst wenn die Ergebnisse schon auf dem Tisch liegen.
»Okay, Kollegin, ich versuche, diesen Arzt ausfindig zu machen. Wenn es auffällige Besonderheiten gab, wird er sich vielleicht erinnern.«
»Danke. Und was Lilly Arnold angeht: Überprüfen Sie doch mal, ob seinerzeit auch der Keller des Hotels durchsucht wurde – gründlich durchsucht. Der Mann war ausgesprochen findig darin, sein Gefängnis zu tarnen. Man sieht es nicht auf den ersten Blick.«
Beerwald runzelte die Stirn. »Gut. Sie hören von mir.«
»Sie können mich jederzeit anrufen.«
»Das dachte ich mir.«
Beerwald legte auf und erhob sich ächzend. Der Kaffeerest kochte bereits seit Stunden auf der Warmhalteplatte und erinnerte in Farbe, Geruch und Beschaffenheit an Teer. Wahrscheinlich würde er sogar ähnlich schmecken. Er goss sich dennoch eine Tasse ein, rührte drei Stückchen Zuckerund viel Dosenmilch unter. Dann gab er Dr. Robert Mathiesen in seinen Computer ein.
Der Arzt praktizierte nicht mehr, lebte aber tatsächlich immer noch in Lübeck. Beerwald sah auf die Uhr: kurz nach zwanzig Uhr. Das war keine übliche Geschäftszeit mehr, aber ein Arzt war sicher an Kummer gewöhnt.
Dr. Mathiesen meldete sich nach dem dritten Klingelton. Seine Stimme klang so jung und schwungvoll, dass Beerwald davon überzeugt war, den Sohn am Apparat zu haben.
»Entschuldigen Sie bitte die späte Störung«, sagte er höflich. »Ist es trotzdem möglich, Dr. Robert Mathiesen zu sprechen.«
»Na klar – am Apparat.«
»Sind Sie der Robert Mathiesen, der als Kinderarzt im Marien-Krankenhaus tätig war?«, ergänzte Beerwald dezent erstaunt.
»Genau der bin ich. Mit wem spreche ich eigentlich?«
»Hauptkommissar Hannes Beerwald von der Lübecker Kripo. Es geht um die Aufklärung mehrerer schwerwiegender Verbrechen …«
»Um Gottes willen – was habe ich damit zu tun?« Das klang sehr erschrocken.
Beerwald schmunzelte. »Vielleicht haben Sie einen Hinweis für uns, der in die Ermittlungen einfließen könnte. Allerdings habe ich eine Frage zu einem Fall, der schon beinahe vierzig Jahre zurückliegt.«
»Das ist eine verdammt lange Zeit. Außerdem … Nun, um ehrlich zu sein, am Telefon …«
»Ich verstehe Ihre Vorsicht. Rufen Sie bei der Kripo an und lassen Sie sich zu mir durchstellen, um sicherzugehen.«
»Das Angebot würde ich gern annehmen, Kommissar Beerwald«, erwiderte Mathiesen. »Wir regen uns ständig über Datenklau und unerlaubte Weitergabe persönlicherInformationen auf, aber man darf sich doch nicht wundern, wenn man ohne Rückversicherung am Telefon über persönlichste oder brisante Dinge spricht.«
»Ich stimme Ihnen unbedingt zu und lege jetzt auf, damit Sie zurückrufen können.«
Eine Minute später war Dr. Mathiesen wieder am Apparat und entschuldigte sich noch einmal wortreich für sein Misstrauen, das Beerwald als gesunde Skepsis lobte, worauf beide einander versicherten, dass es schön war, einen Gleichgesinnten kennenzulernen.
»Ein vierzig Jahre zurückliegender Fall beschäftigt Sie also?«, griff Mathiesen den Gesprächsfaden schließlich wieder auf.
»Unter anderem. Vielleicht erinnern Sie sich ja an den Tod des neunjährigen Mark Richardt. Er starb an einem Blinddarmdurchbruch, und Sie haben damals Anzeige erstattet, weil Sie davon überzeugt waren, dass die Eltern …«
»Natürlich – die waren schuld! Der Junge starb bei mir auf dem Tisch«, ereiferte sich Mathiesen. »Das Kind muss mehrere Tage fürchterlich
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