Hafenmord - ein Rügen-Krimi
gelitten haben, und die Mutter erklärte mir lapidar, dass viele Kinder hin und wieder unter Bauchweh litten. Das hätte sie nicht so ernst genommen. Meistens hätte es genügt, dem Jungen einen Tee zu kochen und … ja, warten Sie mal: für umfassende Hygiene und Sauberkeit zu sorgen.«
»Merkwürdige Antwort«, meinte Beerwald. »Zumindest in dem Zusammenhang. Konnten Sie sich einen Reim darauf machen?«
»Das Kind war schon halbtot, aber penibel sauber«, antwortete der Arzt. »Wie gerade frisch gebadet … Das schien ihr wichtiger als alles andere zu sein. Wahrscheinlich hatte sie einen Waschzwang …« Er brach ab. »Die Geschichte hat mich damals ganz schön mitgenommen. Sie tut es heute noch, wie ich gerade merke. Ich weiß, dass bei der Überprüfungnichts herausgekommen ist, aber die Mutter war eine … unglaublich überhebliche und herrische Frau, und ich wollte einfach sichergehen, dass da nichts übersehen wird.«
»Ja, ich verstehe«, sagte Beerwald. »Vielen Dank für Ihren Hinweis.«
»Sagen Sie – worum geht es eigentlich?«, fragte Mathiesen. »Es interessiert mich natürlich, warum die Polizei nach fast vierzig Jahren diesen Fall noch einmal aufgreift.«
»Wie es aussieht, hat der jüngere Bruder des verstorbenen Jungen zeit seines Lebens unter dem tragischen Tod seines Bruders gelitten«, antwortete Beerwald diplomatisch.
»Das kann ich mir vorstellen. So was bleibt hängen. Dürfen Sie konkreter werden?«
»Eigentlich nicht, aber … Nun ja, der Mann lebt inzwischen nicht mehr«, entgegnete Beerwald. »Und die Polizei ermittelt zurzeit in mehreren schwerwiegenden Verbrechen an Frauen. Mehr darf ich Ihnen nicht sagen, und auch das müssen Sie unbedingt für sich behalten.«
»Ja, natürlich«, versicherte Dr. Mathiesen. Er klang beeindruckt.
»Danke noch mal. Vielleicht melden wir uns die Tage erneut bei Ihnen, Doktor.«
»Tun Sie das ruhig. Viel Erfolg bei den weiteren Ermittlungen.«
Beerwald legte auf und starrte ein paar Löcher in die Luft. Dann gab er sich einen Ruck und informierte die Kommissarin mit dem schönen südländischen Namen, die sich äußerst charmant für seine Bemühungen bedankte. So charmant, dass Beerwald nicht nur versprach, die Ergebnisse seiner Gespräche sowie die entsprechenden Aktenvermerke umgehend nach Bergen zu mailen, sondern noch ein weiteres Telefonat in Angriff nahm.
Zehn Minuten später hatte er Peter Roloff am Apparat.Roloff war seinerzeit als Einsatzleiter bei der Hoteldurchsuchung dabei gewesen und inzwischen pensioniert. Beerwald hatte im Dienst nicht häufig mit ihm zu tun gehabt, kannte den Kollegen aber vom Sport. Roloff war immer noch ein hervorragender Keeper – besser als er, und zwar nicht nur wegen der aktuellen Knieprobleme.
Als Beerwald sich meldete, ging Roloff davon aus, dass er als Torhüter einspringen sollte.
»Auf das Angebot kommt die Mannschaft sicher mal zurück«, erwiderte er. »Doch der Grund meines Anrufs ist was Offizielles.«
»Ich bin raus aus dem Job – schon vergessen?«, gab Roloff fröhlich zurück.
Er gehörte zu der Sorte Pensionäre, die im Ruhestand mehr zu tun hatten als vorher, und zwar nicht weil er nun hauptberuflich Enkel hütete oder Kaninchen züchtete. Soweit Beerwald informiert war, unterrichtete der Kollege an der Polizeischule und engagierte sich im Weißen Ring.
»Ganz und gar nicht. Aber wir haben eine Anfrage aus Rügen, zu der du eventuell was sagen könntest«, entgegnete Beerwald. »Geh mal zurück ins Jahr 1992 …«
»Guter Jahrgang. Damals sind mir die Mädels fast so häufig nachgelaufen wie heute.« Er lachte.
Roloff war kein Kostverächter – zeitweise hatte er unter den Kollegen den Spitznamen ›Mr. Teflon‹ verpasst bekommen, weil er nichts anbrennen ließ. Allerdings war Beerwald der Meinung, dass Roloff seine Wirkung auf Frauen maßlos überschätzte. Aber das musste er nicht gerade in diesem Augenblick mit ihm diskutieren.
»Hm, tja, wenn du es sagst … Erinnerst du dich noch an die Hotelsache Richardt? Eine junge Frau namens Lilly Arnold verschwand damals spurlos. In ihrem Hotelzimmer konnten Blutspuren gesichert werden, aber das war auch schon alles. Im Hotel fanden sich keinerlei weitere Hinweiseauf die Frau – die übrigens bis heute nicht wieder aufgetaucht ist.«
»Ein altes, sehr schönes Hotel in der Innenstadt? Ja, warte mal, da klingelt was. Chefin war eigentlich die Alte«, erinnerte Roloff sich. »Unangenehme Frau, hatte Haare auf den Zähnen, während
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