Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hafenweihnacht

Hafenweihnacht

Titel: Hafenweihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Soedher
Vom Netzwerk:
zu tun hatte, lag die Schlussfolgerung nahe, dass Kimmel sich esoterischen Beistand erhoffte. Lydia Naber hatte es fast die Sprache verschlagen, als sie diese im Grunde unglaubliche Geschichte hörte und er tat ihr leid. Er musste schon arg leiden, wenn er, der Nüchterne, ausgerechnet bei einem Schamanen Hilfe erwartete. Aber er war ja auch im Allgäu großgeworden, wo man bekannterweise einen natürlicheren Zugang zu Hexerei, Schamanentum und allerlei okkultem Getue hatte.
    Kimmel hatte sofort die Tür zum Büro geschlossen und sich in den Bürostuhl fallen lassen. Er gehörte wahrlich nicht zu denen, die ständig lächelten oder grinsten und war ein Freund kurzer Sätze, die viel Information beinhalteten. Mit denen, die ihn gut kannten, und das war bei allen seinen Leuten so, mit denen konnte er sich sogar mittels kurzen Lauten, einem Knurren, Schnaufen oder Brummen verständigen. Und die merkten natürlich, wie er selbst auch, wie mürrisch sein Gemüt geworden war. Die schlechte Verfassung, in der er sich seit dem Spätherbst befand, hatte ihre Ursache in den vielen Nächten, in denen er von Schmerzen geweckt wurde. Diese elende Hüfte, rechts. Dabei wäre es so einfach, wie es ihm sein Arzt gesagt hatte; man ließ sich eine neue Hüfte einsetzen – und fertig. Aber genau da lag Kimmels Problem. Er hatte Angst davor. Er wollte gar keine neue Hüfte und es konnten noch so viele mit ihrer neuen Hüfte lächelnd und jauchzend an ihm vorbeijoggen, springen und hüpfen – er hatte schlicht Angst. Und was hatte er nicht alles versucht und probiert in den letzten Wochen. Salben, Umschläge, Geheimrezepte längst vermoderter Großväter und Großmütter, er hatte pfundweise Globuli in sich hineingestopft, war zu einer Gutsprecherin gegangen und seine Internetrecherchen hätten ihn beinahe zu einem Schamanen aus Ratzenried gebracht. Das hatte ihm denn doch sein Stolz verboten. Ging es ihm schon der Schmerzen wegen schlecht, so peitschte etwas völlig anderes seine Grundangst in immenser Weise auf: das Internet. Zunächst wäre er ja bereit gewesen diesen Routineeingriff, von dem alle sprachen, durchführen zu lassen. Bis zu dem Zeitpunkt, als er begonnen hatte, im Internet zu recherchieren. Jesus Maria! Dort, in diesem virtuellen Raum, war er auf unzählige Foren des Elends gestoßen, wo Leidende schilderten, was bei ihrem Eingriff alles schiefgegangen war, was Ärzte vergessen, verbogen, verschnitten, vernäht und verspritzt hatten. Jedes Mal, wenn er sich erschöpft vom Bildschirm abwendete, war er der festen Überzeugung, auf der ganzen Welt könne es niemanden geben, der mit einer neuen Hüfte lebensfroh existieren konnte.
    So zog er diesen Schmerz seit Wochen mit sich herum. Es war ein so feiner wie beständiger, tief ins Innere seines Körpers ziehender Schmerz, der sein Wesen zermürbte und wie ein sinisteres Gift auf seinen Gemütszustand wirkte. Und er wusste es, fühlte es, spürte das Brodeln in sich und den Hader, den die Schmerzen zurückließen. Er bemühte sich ja wirklich, diese Missstimmung keinesfalls an seinen Leuten auszulassen. Dafür gab es schließlich dieses Präsidium in Kempten mit den ungezählten Bürokraten, die vor Computern saßen und Statistiken auswerteten, und Computerspezialisten, die diese Computer daran hinderten fehlerfrei zu laufen, wie man das von Maschinen erwarten durfte. Er sank tiefer in seinen Bürostuhl. Und jetzt auch noch das – ein Toter im Hafen, exakt vor Beginn der Hafenweihnacht. Konnte es noch schlimmer kommen? Er hackte mit beiden Zeigefingern sein Passwort in den Computer und die Tastatur knackte und schepperte unter dem Druck seiner mächtigen Finger. Dann las er die bisher vorliegenden Berichte, notierte einige Stichworte und überlegte, was zu tun war. Sollte er noch eine Besprechung anberaumen, oder hatten das die anderen schon erledigt? Wenn ja, wozu brauchte man ihn dann noch hier?
    Derlei Selbstzweifel waren ihm früher nie gekommen und er ärgerte sich darüber.

    Kurz darauf saßen alle im Besprechungsraum beisammen und viel mehr, als das, was Kimmel den Berichten im Computer hatte entnehmen können, erfuhr er auch hier nicht.
    Ein unbekannter Toter, männlich, dessen Todesursache erst durch die Obduktion würde ermittelt werden können. Bis jetzt waren noch keine Vermisstenanfragen eingegangen und soweit Lydia telefonisch herausgefunden hatte, waren auch die Arbeiter, die die Holzbuden aufgestellt hatten, komplett. Jedenfalls lautete so die Auskunft der

Weitere Kostenlose Bücher