Hafenweihnacht
sie einen guten Blick hatte. Ihr Mann war im oberen Stock und bereitete einige Unterlagen vor. Ohne den Blick vom Fenster zu wenden, rief sie laut nach oben: »Der Polizist ist schon wieder da. Er hat unten vor der Garage geparkt.« So wie sie es sagte, klangen Unverständnis, Verwunderung und ein wenig Sorge mit. Ihr Mann rührte sich nicht.
Ärgerlich drehte sie sich um und sah zum Treppenaufgang, über dessen stumme Leere er sich verbarg. Dass er sich so gar nicht für das interessierte, was sie berührte und aufregte, und sie gar nicht darin unterstützte die Familie zusammenzuhalten. Seit er nicht mehr regelmäßig die Kanzlei aufsuchte, war er zunehmend unerträglich schweigsam und spröde geworden, saß am Tisch, las die Zeitung, sortierte Unterlagen, beobachtete stundenlang Vögel mit dem Fernglas. War er vielleicht schon immer so gewesen, nur dass sie es nicht gemerkt hatte?
Von der Seitenstraße näherte sich eine Gestalt. »Ach du lieber Gott«, rief sie beinahe erschrocken nach oben, »der Binzer. Na, dass der nun ausgerechnet daherkommen muss. Ausgerechnet der. Und wieder mit der Schubkarre. Hat der denn gar nichts anderes zu tun, als den ganzen Tag im Garten herumzukriechen, sogar jetzt bei diesem fürchterlichen Winterwetter. Ich verstehe das nicht.«
Von oben war nichts zu hören. Sie trat ein Stück vom Vorhang zurück und beobachtete aus sicherer Entfernung und mit stiller Freude an ihrem Lauern, wie die beiden Männer aufeinandertrafen.
»Grüß Gott«, begann Robert Funk, »so früh am Montagmorgen schon so fleißig gewesen?«
Der Alte mit der Schubkarre musterte ihn und hielt inne. Er überlegte, was er tun sollte, ob es der Fremde wert war, sich auf eine Erwiderung einzulassen. Sein Blick blitzte für einen Moment zur Seite und stellte fest, dass das ihm unbekannte Auto ein Lindauer Kennzeichen trug. Er schwankte und antwortete unverbindlich: »Jaja, grüß Gott, was bleibt einem auch übrig. Muss ja gemacht werden, die Arbeit, wenn man nicht im eigenen Garten ersticken will.«
Robert Funk grinste. Er war also stolz darauf, einen Garten zu haben, und noch mehr Stolz hatte er darüber, dass es sein eigener war.
»Ja, so ein Garten macht einem genauso viel Freude wie Arbeit. Aber im Moment kann man sich so gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn man die Wärme um sich hat und schwitzt und alles grün und frisch um einen herum ist und die Vögel singen.«
Der Alte setzte die Schubkarre ab und nahm einen kräftigen Zug vom Zigarillo. Er inhalierte tief und genussvoll und sah anschließend dem Rauch nach, den er aus seinen Lungen entließ. Die kalte Luft war voller kräftiger Würze und Robert Funk freute sich schon auf die abendliche Pfeife, die er genießen wollte. Sein Magen hatte ihn tatsächlich gezwungen, diese Leidenschaft noch weiter zu reduzieren, als er es eh schon getan hatte.
Der Alte knurrte: »Der Schnee will nicht richtig kommen dieses Jahr und das spürt man in den Gelenken. Kälte und Wind sind nicht gut, vor allem der Wind, der macht einen ganz spröde. Schlecht für die morschen Knochen. Zweimal die Woche gehe ich in die Rentnerwaschanlage, das tut gut. Hätt' ich früher nicht geglaubt.« Er fuhr sich mit dem rechten Handrücken über die Nase und schniefte.
»Rentnerwaschanlage?«, wiederholte Robert Funk.
»Limare«, lautete die karge Erklärung.
Robert Funk verkniff sich ein Grinsen. Das musste er sich für Gommi merken, der da regelmäßig war, und für Kimmel, der mit den Wasserbehandlungen seine Hüftschmerzen lindern wollte. Er überlegte, wie er das Gespräch nun auf das Haus und Drohst bringen konnte, als der Alte mit einer kurzen Kopfbewegung zum Haus wies und fragte: »Und Sie wollen das kaufen?«
Robert Funk drehte sich kurz zum Haus hin um. Die Frage hatte ihn überrascht. Wie kam dieser Mann darauf zu vermuten, er sei ein Käufer? »Nein, ich will das Haus nicht kaufen. Steht es denn zum Verkauf?«
»Schon. Was ich gehört habe, will er es verkaufen.«
»Wer will es verkaufen?«
Der Alte zögerte, um einen weiteren tiefen Zug zu nehmen, und musterte Funk. »Ja, der Drohst.«
»Der Sohn«, ergänzte Robert Funk.
»Wer sonst … lebt ja keiner mehr.«
»Na seine Schwester, die Britta.«
Der Alte sog noch einmal am Zigarillo und trat die Kippe am Gehweg aus. Er holte ein Taschentuch aus der Hosentasche und schnäuzte sich ausgiebig.
Robert Funk hatte den Eindruck, dass er das deshalb tat, um zu überlegen, wie er mit ihm, dem Unbekannten,
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