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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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hat Mammarosa nicht einmal den Mund aufgemacht«, fuhr dieser fort.
    »Ja also, was läßt Sie dann glauben, daß …«
    »Jetzt tun Sie bitte mir kein Unrecht. Die Leute reden
    auch dann, wenn sie lieber den Mund halten sollen. Stellen Sie sich vor, wie's wäre, wenn sich einer in den Kopf setzen würde, noch Öl ins Feuer zu gießen: Die Sachen, die man wissen will, gehen in einem Meer von Unterstellungen, Vermutungen, Nachgerede und Getratsche unter … man läßt lieber die Finger davon, mein verehrter Freund, eine Kloake, eine Sickergrube ist das.«
      »Und was sollen die, die soviel reden, Ihrer Meinung nach über mich zu erzählen haben?«
    »Nichts, lieber Don Vito, überhaupt nichts. Das ist ja das
    Rätsel. Sie wundern sich, daß es auf dem Antlitz dieser Erde einen so Ruchlosen geben kann, der Ihren Tod will.«
      Wie ein Peitschenhieb trafen ihn diese Worte. Vito zuckte zusammen, was der Maresciallo deutlich sah, der ihn in diesem Augenblick aufmerksam musterte.
      Hornochse! Das hat er mit Absicht gemacht! fuhr es ihm wie ein Blitz durch den Kopf, während er – über sich selbst verwundert – mit ruhiger Stimme nachfragte: »Und Sie glauben das?«
    »Was?«
    »Daß mich jemand, wie Sie sagen, tot sehen will.«
      Corbo kramte übertrieben langsam ein Päckchen Zigaretten heraus, bot Vito eine an, der jedoch ablehnte – in Wirklichkeit hatte er eine Wahnsinnslust zu rauchen, doch er befürchtete, daß seine Hände zittern könnten –, und nahm erst einen Zug, bevor er antwortete.
      »Für den Moment glaube ich noch, daß sie mit Ihnen Katz und Maus spielen.«
    Auch du, überlegte Vito voll Bitterkeit, der du dich als
    Freund aufführst, verpaßt mit deinem Päckchen Zigaretten, dem Streichholz, dem ganzen Scheiß keinen Augenblick die Gelegenheit, den Sbirren rauszuhängen.
    »Ich will damit sagen«, setzte der Maresciallo seine Rede fort, »hegen Sie vielleicht irgendeinen Zweifel, daß man Sie, hätte man Ihnen wirklich eins überbraten wollen, nicht seelenruhig schon mit dem ersten Schuß hätte erledigen können? Und selbst wenn die Herren Sie beim ersten Mal aus irgendeinem x-beliebigen Grund verfehlt haben – was weiß ich, warum, vielleicht waren da Schritte oder eine Stimme, ein plötzliches Licht –, denken Sie etwa, daß sie Ihnen so viel Zeit gelassen hätten, bevor sie den zweiten Schuß abfeuerten? Der ebenfalls das Ziel verfehlte?«
      »Verzeihen Sie«, unterbrach Vito ihn, »ich habe Ihnen eine Frage gestellt, und Sie haben mich mit all Ihren Ihnen, ihn, Sie ganz aus dem Konzept gebracht. Sprechen Sie über mich?«
      »Ja, was haben die denn sonst gemacht, haben die etwa Räuber und Gendarm gespielt?« stieß Corbo hitzig aus und überhörte den Einwurf. »Ich bitte Sie«, sagte er mit einem Kopfschütteln zu Vito, der ihn erneut unterbrechen wollte, »ich kenne mich aus in solchen Dingen, das sind Leute mit Erfahrung, die machen das von Berufs wegen.«
      »Aber was für Leute denn? Von wem reden Sie eigentlich?« begehrte Vito, in dem die Worte des Maresciallo neue Abgründe der Angst aufgetan hatten, mit schwacher Stimme auf.
    »Sagen Sie es mir doch«, sagte Corbo leise.
    »Aber ich sprach nur im allgemeinen!«
      »Ich auch. Und immer noch ganz im allgemeinen sage ich Ihnen, daß die Ihnen eine Warnung, ein Alarmzeichen geben wollten: ›Passen Sie auf, mein Freund, wohin Sie treten!‹«
      »Ist ja gut«, sagte Vito, »Sie mögen ja recht haben, das bestreite ich nicht, aber warum kommen Sie ausgerechnet zu mir und erzählen mir diese Geschichte?«
      »Jetzt habe ich verstanden. Sie haben sich in den Kopf gesetzt, den starken Mann zu spielen. Aber für solche Dinge brauchen Sie Nerven wie Drahtseile, und Ihr Gewissen müßte …«
      »Das Gewissen haben die Wölfe, und: Ein Wolf frißt den anderen nicht«, entgegnete Vito barsch und bereute es sogleich, auf das Sprichwort angespielt zu haben, das wie ein halbes Geständnis klang.
    »Doch Sie sind nun mal kein Wolf«, entgegnete Corbo
    schlagfertig. »Sehen Sie, mir kann das piepegal sein, es ist Ihre Haut. Im schlimmsten Fall werde ich ein Tatprotokoll aufnehmen müssen. Denn, das kann ich Ihnen versichern, als hätte ich persönlich den Finger am Abzug: Der dritte Schuß, wenn er denn fällt, wird jene Herrschaften für die ersten zwei fehlgegangenen entschädigen.«
      Mit einem schwachen Lächeln auf den gespannten Lippen versuchte Vito, der Sache einen scherzhaften Anstrich zu verleihen.

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