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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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»Ich muß einfach lachen«, sagte er, »wenn ich bedenke, daß Sie Ihre Zeit wegen einer Belanglosigkeit, eines Schabernacks vergeuden.«
      »Das könnte sein«, meinte Corbo im ernsten Ton, »und ich wäre dann Ihretwegen froh, einen ganzen Tag verloren zu haben. Nur, ich glaube das nicht. Sie sind ein ehrbarer Mann in einem gewissen Alter. Sie haben nichts mit Weibern und Gesindel am Hut, Sie sind nicht einmal ein geselliger Mensch. Und wenn ich mich nicht täusche, dann lachen Sie jetzt auf genau die gleiche Weise wie Onkel Manuele, als er das Ruderboot verlor.«
      Damit meinte er die zur Legende gewordene Geschichte eines Fischers aus dem Dorf, besagter Onkel Manuele, der in einer Sturmnacht mitbekam, wie ein Boot sich aus der Vertäuung gelöst hatte und von der Strömung aufs offene Meer getrieben wurde. Lauthals lachte er los, als er sich das Gesicht des Bootsbesitzers tags darauf vorstellte: Erst als nichts mehr zu retten war und die Wellen das Boot auf den Grund gerissen hatten, begriff Onkel Manuele endlich, daß es sich um sein eigenes Boot handelte, das er in der Dunkelheit nicht erkannt hatte.
      »Ich muß ins Dorf zurück«, sagte Vito abrupt, »leben Sie wohl.«
    »Warten Sie noch einen Augenblick. Es ist besser, wenn ich als erster gehe und Sie sich erst später auf der Piazza blicken lassen. Ansonsten könnten die nämlich glauben, Sie hätten mit mir geredet«, sagte Corbo lächelnd und fügte hinzu: »Ich bin absichtlich hierhergekommen, um keinem ins Auge zu fallen.«
    »Dazu bestand keine Veranlassung«, sagte Vito.
      »Um so besser«, beschied Corbo und erhob sich mit einem betrübten Blick aufs Wasser. »Nun ja, hier war's richtig angenehm.«
    Seufzend rückte er seine Uniformjacke zurecht.
      »Gestatten Sie mir noch eine Frage«, sagte er dann, »kannten Sie einen gewissen Gaetano Mirabile?«
      »Den Schäfer?« fragte Vito und sah ihn von oben bis unten an.
    »Ja.«
    »Ja«, kam es wie ein Echo aus Vitos Mund.
    »Kannten Sie ihn gut?«
    »O Gott, gut könnte ich nicht behaupten …«
    »So einigermaßen?«
      »Ich bin ihm hin und wieder auf dem Feldrain begegnet, und ein- oder zweimal haben wir ein paar Worte miteinander gewechselt.«
    »Worüber?«
    »Wie soll ich mich daran erinnern?«
    »Versuchen Sie's.«
      »Einfach so, Dinge ohne Bedeutung, über den Jahresertrag, den Eierpreis, den des Getreides und so weiter.«
    »Wußten Sie, daß er ermordet worden ist?«
    »Ja, ich habe gehört, wie gestern abend im Dorf davon gesprochen wurde, als ich auf dem Weg ins Kino war«, erwiderte Vito und fragte sich, worauf Corbo wohl hinauswollte.
      »Und Sie denken nicht, daß es da irgendeinen Zusammenhang geben könnte?«
    »Womit?«
    »Mit den zwei Schüssen von heute nacht.«
      »Sind Sie verrückt?« rief Vito entsetzt und war mit einem Satz auf den Beinen. Ein eisiger Schauder durchlief ihn, nicht wegen der Worte des Maresciallos, sondern auch, weil er begriffen hatte, daß er in die Falle gegangen war: Sein Schrei und sein Aufspringen waren eindeutiger als ein Geständnis.
      »Es ist alles möglich«, sagte Corbo lächelnd und ging davon.

    Seit einer geschlagenen Viertelstunde veranstaltete der Fremde einen Affenzirkus. Nachdem er seinen Fiat Millecento mit Turiner Kennzeichen vor Masinos Café geparkt hatte, war er ausgestiegen, um etwas trinken zu gehen. Als er zurückkam, fing er an zu schreien, jemand habe ihm in den paar Minuten, die er weg war, mir nichts, dir nichts, seine teure Fotoausrüstung aus dem Automobil geklaut. Er war ein kleines, kugelrundes Männlein mit Goldrandbrille und einer dünnen fahlblonden Strähne, die er über den Schädel gekämmt hatte, und er jammerte verzweifelt mit deutlich nördlichem Akzent: »Über eine Million! Mein Gott! Über eine Million Lire habe ich dafür bezahlt!«
      »Sehen Sie gut nach«, riet ihm jemand mit unschuldigem und mitleidigem Gesicht.
      »Vielleicht haben Sie die Kamera in den Kofferraum gelegt und dort vergessen«, schaltete sich ein anderer ein.
    »Sie werden sehen, daß Sie sie im Hotel liegengelassen
    haben«, schlaumeierte ein Dritter.
      Ein Sizilianer hätte eine solche Inszenierung längst durchschaut und auffliegen lassen, weil er hinter der Besorgnis und dem Eifer der mitleidigen Umstehenden einen Scherz, ein flüchtiges Spiel von Schalk und Ironie entdeckt hätte. Der Turiner jedoch beschränkte sich darauf, zu sagen, daß er sich ganz sicher sei, die Ausrüstung mitgenommen und auch

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