Hahn, Nikola
Haus?«
»Nicht
offiziell.«
»Wo?«
»In
Hamburg.«
»Welches?«
»Dazu
möchte ich nichts sagen.«
»Was
wurde aus Ihrem Sohn?«
Ihre
Hände fuhren über den Hut »Ich bin erstaunt, was alles in meiner Akte steht.«
»Bitte
beantworten Sie meine Frage.«
»Er
starb drei Tage nach seinem sechsten Geburtstag.«
»Warum
haben Sie in Stuttgart falsche Personalien benutzt?«
»Corriger
la fortune, Kommissar. Das schwarze Schaf
derer von Ravenstedt hätte wohl kaum irgendwo Arbeit gefunden.«
»Arbeit
als was?«
»Als
Gesellschafterin.«
»Eine
bessere Lüge fällt Ihnen nicht ein?«
»Das
ist die Wahrheit.«
»Verstehe.
Sie haben in Hamburg ein Freudenhaus geleitet und sich Ihr Taschengeld in
Stuttgart als Dienstmädchen verdient.«
Sie lachte nervös. «II faut bonne memoire apres qu'on
a menti. Ich sollte ein besseres
Gedächtnis haben, wenn ich lüge, nicht wahr? Das Geld stammt aus dem Erbe
meines Vaters und wurde über einen Treuhänder ausgezahlt. Offiziell habe ich
selbstverständlich nichts erhalten. Und als ich 1901 nach Frankfurt kam...«
»Wann
genau?«
»Irgendwann
Anfang März.« Sie fuhr mit der Zunge über die Lippen. »Hätten Sie vielleicht
einen Cognac für mich?«
Richard
starrte sie an. Der Gedanke war zu ungeheuerlich, als daß er ihn auszusprechen
wagte.
»Pardonnez!« sagte sie kokett. »Ich vergaß, daß ich mich in
einer preußischen Amtsstube befinde.«
»Sie
sprechen gut Französisch.«
Sie zuckte
mit den Schultern. »Meine Lehrerin bezeichnete meine Aussprache als tres
terrible.«
»Friedrich
Schiller und dieser Monsieur Sade sind sicher nicht die einzigen Literaten, die
Sie schätzen?«
»Heine
und Lessing sind auch nicht übel«, sagte sie amüsiert. »Wenn auch weniger
nützlich. Marquis de Sade und Charlotte Arand helfen mir dagegen in fast allen
Lebenslagen.« Sie sah sein Gesicht und lachte. »Geben Sie's zu: Sie haben von
beiden noch keine Zeile gelesen.«
»Was
ist mit Goethe?«
»Soll
das ein Diskurs über schöngeistige Literatur werden, Herr Biddling?«
»Ich
fragte, ob Sie Goethes Werke kennen!«
»Gewisse
Dichter gehören sozusagen zur geistigen Hausapotheke gebildeter Menschen - und
derer, die sich dafür halten. Und es ist das ewig Eine, das sich vielfach
offenbart; Klein das
Große,
groß das Kleine, alles nach der eignen Art.« Sie
lächelte. »Ich habe siebzehn Jahre in einem hochherrschaftlichen Haushalt
gelebt. Das hinterläßt Spuren.«
Richard
stützte sich auf seinen Schreibtisch. Es war unmöglich. Es konnte einfach
nicht sein. Oder doch? Hatte Eduard Könitz bei seiner Rückkehr aus Übersee im
Sommer 1882 die Dampferlinie nach Hamburg genommen und Zilly dort in einem
Bordell kennengelernt? Aber selbst wenn es so gewesen wäre: Es gab keinen Sinn!
Nie und nimmer konnte sie wissen, was geschehen war. Es sei denn, sie hätte
zufällig davon erfahren. Oft genug hatten er und Braun von den Damen aus der
Rosengasse Hinweise bekommen, und so manchem Gauner war seine Redseligkeit im
Dirnenbett schon zum Verhängnis geworden.
Richard
räusperte sich. »Memento mori - bezog sich das auf eine bestimmte
Person, Frau von Ravenstedt?«
»Ich
weiß nicht, was Sie meinen.«
»Die
Akte Eduard Könitz! Haben Sie...»
»Den
Namen höre ich zum ersten Mal.«
»Ach ja?
Und den Namen Richard hören Sie auch zum ersten Mal?«
Sie
lächelte. »War das nicht ein tragischer Held in Shakespeares Königsdramen?«
Richard
zog eine Schublade seines Schreibtischs auf und nahm einen mit Schreibmaschine
verfaßten Brief heraus. »Lesen Sie das.«
Zögernd nahm sie das Blatt. »II n'y a pas des sots si
incommodes que ceux qui ont de l 'esprit ...La verite est en marche.« Sie sah ihn an. »Die Narren mit einem bißchen Verstand sind die
schlimmsten Narren... Die Wahrheit ist auf dem Marsch.«
»Lesen
Sie weiter!«
«Nur
der Irrtum ist das Leben, und das Wissen ist der Tod. Fürwahr, Goethe trifft
immer den Kern der Sache.«
»Das
sagt Ihnen nichts?«
»Zumindest
sagt es mir, daß der Verfasser in Französisch und in Fragen der Literatur nicht
besonders bewandert ist. Es muß
heißen: point de sots. Und der zweite Satz stammt nicht von Goethe, sondern aus
einem Gedicht Schillers über den Untergang von Troja.«
»Die
Fehler könnten bewußt gemacht worden sein, um genau diesen Anschein zu erwecken,
nicht wahr?«
»Oder
die Quelle war falsch.«
»Welche
Quelle?«
Sie
wurde rot. »Nun ja, das Buch, dem die Zitate entnommen wurden.«
»Und
welches Buch ist
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