Hahn, Nikola
kurz
bei Ihnen vorbei.«
Er
räumte eine Zeitung weg. »Und ich war gerade dabei, mich über den neuesten
Ermittlungsstand in der Sache zu informieren.«
»Hält
Richard Sie denn nicht auf dem laufenden?«
»Nun
ja... gelegentlich.« Er stellte Victorias Tassen auf den Tisch und goß Kaffee
ein.
»Die
haben Sie immer noch?« fragte sie überrascht.
»Aber
sicher. Bis zum letzten Tag habe ich darauf gewartet, daß Sie Ihr Versprechen
einlösen.«
»Welches
Versprechen denn?«
»Auf
einen Kaffee im Präsidium vorbeizukommen.«
»Ich
weiß nicht, ob es Richard recht gewesen wäre.«
»Notfalls
hätte ich ihn auf eine Außenermittlung geschickt.«
Victoria
lachte. »Sie sind unverbesserlich. Wo ist denn Ihre Frau?«
»Helena
hat sich für ein Stündchen hingelegt.«
»Ist
sie krank?«
»Bloß ein
wenig überarbeitet.« Er sah sie aufmerksam an. »Gibt es einen besonderen Grund,
warum Sie mich besuchen?«
»Nein,
ich... Ich hatte einfach wieder mal das Bedürfnis, auf einem harten Stuhl zu
sitzen.«
»Solange
er nicht frisch gestrichen ist.«
Victoria
lächelte. »Im Gegensatz zu Anna fand Richard die grünen Streifen auf seinem
Allerwertesten gar nicht lustig.«
Heiner
Braun stellte die Kaffeekanne zurück auf den Herd. »Frankfurter Humor ist
gewöhnungsbedürftig.«
»Haben
Sie noch Kontakt zu Anna?«
»Ja,
sicher.« Er holte ihren Brief und zeigte Victoria die Photographie.
»Sie
sieht glücklich aus.«
Er
nickte. »Sobald Helena sich besser fühlt, werden wir sie besuchen.«
Victoria
legte das Bild auf den Tisch. »Manchmal wünsche ich mir, die Zeit wäre damals
stehengeblieben.«
»Ach
was. Tag für Tag das gleiche Wetter ist doch nichts.«
Sie
lächelte, dann wurde sie ernst. »Es war ein Fehler, zurück in den Untermainkai
zu ziehen.«
»Wenn
Sie es nicht getan hätten, wäre Ihre Schwester wieder in eine Anstalt
gekommen.«
»Vielleicht
hätte es eine andere Lösung gegeben, wenn ich genügend darüber nachgedacht
hätte. Ich redete mir ein, daß ich es für Clara und für Mutter tue, für Vater,
für David, Vicki und Flora, ja letztlich sogar für Richard. Aber im Grunde genommen
habe ich es nur für mich selbst getan. Endlich nicht mehr diese schrecklichen
Hausarbeiten erledigen und Bücher kaufen, so viele ich will; endlich wieder
leben, ohne jeden Pfennig dreimal umzudrehen. Und vielleicht doch noch ein Kind
haben.«
Sie umfaßte
die Tasse mit beiden Händen. »Und jetzt führe ich das Haus für einen
störrischen alten Mann und einen heiratsunwilligen Bruder und habe zwei
Töchter, die sich an ein Leben gewöhnt haben, das Richard ihnen niemals bieten
könnte. Ich glaube, insgeheim verachtet er mich dafür. Und Sie auch, nicht
wahr?«
Heiner
Braun sah sie betroffen an. »Wie können Sie so etwas denken!«
»Welchen
Schluß soll ich sonst daraus ziehen, daß Sie und Helena nicht mehr zu uns
kommen?«
»Aus
der Häufigkeit Ihrer Gegenbesuche könnte ich den gleichen Schluß ziehen«,
sagte er freundlich. »Bitte glauben Sie mir: Es hat nicht das geringste mit
Ihnen zu tun.«
»Sondern?«
»Manche
Dinge ergeben sich einfach.«
»Woraus?«
Er
lächelte. »Sie sind noch genauso hartnäckig wie früher.«
Victoria
stand auf und sah aus dem Fenster. Neben dem
Brunnen
im Hof döste eine Katze. »Früher hat Richard mit mir über seine Arbeit
gesprochen. Seit wir umgezogen sind, erzählt er fast nichts mehr. Ein Grund
liegt sicher darin, daß er glaubte, Rücksicht nehmen zu müssen, weil mich die
Pflege von Mutter und Clara sehr anstrengte. Meistens schlief ich schon, wenn
er nach Hause kam. Wir fingen an, in verschiedenen Welten zu leben, und ich
nahm es hin. Waren nicht alle Ehen so? Warum sollte ausgerechnet unsere eine
Ausnahme sein? Nach Mutters Tod habe ich immer wieder versucht, mit ihm zu
reden. Vergebens.« Sie drehte sich zu ihm um. »Sie haben recht: Es gibt einen
Grund, warum ich hier bin. Auf Lichtensteins Beerdigung vorhin.... Ich gab
seiner Witwe die Hand und hatte plötzlich das Gefühl, an einem Abgrund zu
stehen. Ich weiß einfach nicht, wie es mit Richard und mir weitergehen soll.«
Heiner
Braun sah sie ernst an. »Könnte es nicht sein, daß er so schweigsam ist, weil
er Angst hat, Sie zu verletzen? Oder weil er Sie schützen will?«
»Vor
wem und wovor?«
»Die
Sache mit Ihrem Cousin
»Eduard
ist seit zweiundzwanzig Jahren tot!«
»Es
gibt Dinge, die vergehen nicht, Victoria.«
»Was
soll das heißen?«
»Sie
müssen mir versprechen, daß Sie das für
Weitere Kostenlose Bücher